Als ich das erste Mal zu dem berühmten Garten in Sissinghurst/England pilgerte, Mitte Oktober 1994, war ich überwältigt davon, wieviel überhaupt noch blühte – vor allem vom Blau im Garten. Manche Beete wirkten wie Sommerbeete. Am meisten hat mich der Purple border, ein Randbeet, beeindruckt. Ich erinnerte es als überwiegend bläulich, und das war, wie ich später sah, ein Fehler. Aber zuerst wollte ich so etwas auch.
Ich begann danach bei mir, an einem Randbeet alle Blautöne zusammen zu pflanzen, und musste sehen, dass es selten passte. Eigentlich bin ich damit immer noch nicht fertig. Dazu fällt mir ein Spruch von Klaus Foerster ein, den ich eigentlich gar nicht zitieren wollte: „Wer mit seinem Garten zufrieden ist, der hat ihn nicht verdient.“ Ich lehne die ihm zugrunde liegende protestantische Haltung der Pflichterfüllung ab, in Gärten noch mehr als sonst im Leben. Zu meinem unerfüllten Streben nach einem blauen Beet passt der Satz leider doch. Aber, irgendwann, bald, werde ich mit dem Blau in meinem Garten zufrieden sein und es verdient haben!
Zum zweiten Mal war ich 2011 im Juni in Sissinghurst und stellte fest, dass mein Lieblingsbeet, der purple border, eher purpurrot war, und Blau nur als Mischfarbe fungierte. Ich hatte das Thema verfehlt. Außerdem war das Beet ein Sonnenbeet, was man allerdings nur ahnte, da es den ganzen Tag geregnet hatte. Trotzdem wurde mir klar, dass ich so etwas in meinem kleinen Stadtgarten in Berlin nie schaffen könnte.
Nach diesen Erkenntnissen habe ich mich auf die Violetten konzentriert, also Blau als Mischung mit rötlichen oder Fliederfarben. Sie werden als kalte Farben bezeichnet. Da gibt es die winterblühende Azalee (A. praecox), Lungenkraut (Pulmatum), Glockenblumen (Campanula), Beinwell (Symphytum), eine Buddleja alternifolia, Kugeldisteln (Echinops), verschiedene Phloxe, von weiss mit lila Herz bis lilablau. Die Distel ist fast fliederfarben; das geht gerade so, im Verblühen wird sie dann lila. Clematis ‘Jackmanii‘ und Ash-
va passen auch gut, ebenso eine früher mal blaue Hortensie, die nun mit einem verwaschenen Lila daherkommt. Und an mehreren Stellen das Violett des Lavendels.
Die Knallblauen blühen im Vor- und Frühling und im Herbst. Im frühen Jahr sind es viele, die richtig blau sind. Es sind Puschkinien, Muscari, Scilla, die hell-, mittel und königsblau sind, dann kommen Vergissmeinnicht, Jakobsleiter, Skabiosen, Brunneri, Flockenblume, Iris, sie sind jeweils in der Folge von hell zu dunkel aufgeführt. Im Herbst gibt es dann das chinesische Bleiwurz (Ceratostigma willmottianum) und die Eisenhüte (Aconitum), die allerdings noch einen Hauch von Purpur mitbringen.
Inzwischen beobachtete ich, dass die Farbe Blau im Garten auch andere nachdenklich macht. Als ich bei einer Gemäldeausstellung im Liebermann-Haus in Berlin Wannsee war, merkte ich mir einen Satz von ihm: „Blau im Garten ist das malerisch Interessante, und nirgends ist die Hintergrund- und Nachbarschaftsfrage so bedeutsam.“ Der Maler Liebermann hatte einen Garten angelegt und oft gemalt, einige dieser Bilder waren nun ausgestellt. Für mich war es so etwas wie eine Offenbarung, obwohl nur als Gärtnerin, hatte ich ja auch ein Interesse an der Gestaltung mit der Farbe Blau. In dem Buch Max Liebermanns Garten am Wannsee (Nicolai) wird dieser Satz als von Liebermann stammend aus einem Buch Karl Foersters zitiert. Liebermann hatte diesen während der Ritterspornblütezeit aufgesucht, sie waren Foersters Spezialgebiet, über vierzig Sorten von ihnen hat er gezüchtet. Liebermann beschäftigte sich dort eine Stunde lang mit den einzelnen Sorten. Sie sind sowohl in Foersters als auch in Liebermanns Garten zu sehen, eine Sorte geht in einer Blüte von dunkelblau am Stängel zu hellblau an der Spitze. Förster berichtet, dass Liebermann eine „starke Verwendung der allerdunkelsten in Verbindung mit den zarteren Blaus betrachtete (…) als wichtigsten Gesichtspunkt, um zu Bildern von gesättigter Farbenkraft zu gelangen.“
Ein wichtiger Faktor stellt bei der Farbe Blau, mehr als bei den anderen Farben, das Licht dar. Im Frühlingskatalog der Pflanzenversandfirma Albrecht Hoch steht unter „Unsere Blaue Seite“: „Blau streichelt das Auge und bringt die Farbe des Himmels in unsere Gärten. Wir haben versucht, die Bilder möglichst nahe an das Original zu bringen. Wer jedoch schon einmal blaue Pflanzen fotografiert hat, der weiß um die Problematik der Farbwiedergabe, da selbst der subjektive Eindruck im Garten ganz wesentlich von den Lichtverhältnissen abhängt.“
Und dazu noch ein langes Zitat von Karl Foerster, der sich nicht nur kurz und knapp, sondern auch gerne mal schwülstig ausdrückte: „Neben den Stunden, in denen die Farben der Rittersporne stärker leuchten als je, so am zweiten Mittag schöner Wettertage nach Regen, durchleidet das Blau auch wieder farbentote Stunden, keine Farbe wechselt so stark mit dem Licht als Blau. Der dunkelste Rittersporn, der auf den Namen Nacht getauft ist, scheint in sengender Mittagsglut um seine Dolden herum eine Kühle zu breiten, und in der Dämmerung nähert sich zuweilen sein tiefes dröhnendes Sammetlila dem körperlosen Leuchten phosphoreszierender Stoffe.“ (Ein Garten der Erinnerung). In diesen Erfahrungen von Fachleuten steckt die ganze Wahrheit: Blau ist nicht immer gleich schön, eher wie ein Ideal, dem wir uns mehr oder weniger annähern können, vor allem, wenn das Licht mitspielt.
Um diese Vielfalt zu erleben, brauchte es in meinem Garten mehr Platz als das dafür vorgesehene Schattenbeet. Zum Blühen wollen die meisten Pflanzen schon etwas mehr Sonne. Neben den Zwiebelblühern Scilla, Muscari, Puschkinien sind Brunnera, Vergissmeinnicht, Jakobsleiter, Skabiose, Clematis alpina und Anemonen für den Frühling vorgesehen. Bei mir könnten auch die blauen Lobelien gedeihen, die mag ich aber nicht mehr. Da, wo etwas mehr Sonne hinkommt, waren Schwertlilien, Rittersporn, Salvien, Borretsch und Wegwarte schon da, die letztere hat sich allerdings nicht gehalten. Ein Hibiskus ist im Sommer am blauesten von allem, er wird begleitet von weißem Phlox. Eine blaue Buddleja macht weiter, die blauen Phloxe sind deutlich blauer als die blauen Rosen, und zwischendurch immer wieder Glockenblumen. In einem ganz zarten Hellblau blüht Nigella, deren französischen Namen Venushaar ich dem deutschen vorziehe. Die einjährige Trichterwinde (Ipomoea) ist von einem so kräftigen, fast geheimnisvollen Blau, dass sie gar nicht in die Nähe der anderen Blaus darf: Sie soll sich am Treppengelände hochranken. Später im Herbst kommen noch zwei Sorten blaue Astern und Eisenhut. Aber so blau wie im Frühling wird es dann nur noch beim niedrig wachsenden Chinesischen Bleiwurz.
An den verschiedenen Farbstufen des Frühjahrsblaus habe ich weiter getüftelt, mit Erfolg: Im Mai setzte ich die folgenden Pflanzen zueinander in Bezug: das sehr helle Blau der Vergissmeinnicht, der Jakobsleiter (Polemiun), einer Skabiose, und eines Rosmarins, der immerhin zweimal blühte. Dann das kräftigere Blau der Brunnera, welche das satte Königsblau der Flockenblume hervorhob und, wenn der Vergleich nicht vermessen ist, ein Bild von „gesättigter Farbenkraft“ schuf. Es ergab sich dann, als Beigabe, dass die violetten Stempel der blauen Flockenblume genau denselben Farbton hatten wie der große Zierlauch (Allium).
Ein anderer Aspekt ist die Entfernung: Das schönste Königsblau verschwindet nach etwa 15 Meter Entfernung im Grün der Blätter, anders als alles, was hellblau ist, da es auch von Ferne strahlt. Ähnliches tritt bei Rot und Rosa auf: ein dunkles Rot verschwindet in der Entfernung. Inzwischen kann ich damit leben, dass im Frühling das blaue Beet blau ist und danach in Richtung purple geht, um sich im Herbst wieder dem königsblauen Ideal anzunähern. Ich bin weiter auf dem Weg, und immer öfter frage ich mich, ob er schon das Ziel ist; die blaue Blume der Romantik habe ich so verstanden.