Blumengarten oder Nutzgarten? Selbstversorgung aus dem eigenen Garten war uns in den siebziger und achtziger Jahren ein verlockendes Ziel. Damals ging es um das Vermeiden von Pestiziden in der Nahrung; dass die eignen Früchte auch besser schmecken, habe ich erst im Lauf der Zeit bemerkt. Wir bereiteten uns auf einige Jahre in Afrika vor und lasen einschlägige Bücher. Das Buch über Selbstversorgung von John Seymour war damals ein Klassiker: Er hatte in den britischen Kolonien Erfahrungen gesammelt und dann in England weitergemacht. In Tansania konnten wir unsere Erfahrungen machen.
Noch immer bewundere ich erfolgreiche Gärtner, und verstehe ihren Stolz auf eigene Früchte. Aber wenn ich hier, in meinem kleinen Stadtgarten, Gemüse im frühen Frühling vorgezogen habe, Platz im Garten geopfert, den man auch mit schönen Blumen hätte füllen können, regelmäßig goss und auch düngte, dann werden die Früchte reif, wenn sie im Laden sehr wenig kosten und auch ganz lecker sind. Anders war es in Tansania, wo es vieles nicht zu kaufen gab. Schon deswegen ist es nicht vergleichbar, weil wir je zwei festangestellte Gärtner und Köchinnen hatten.
Jetzt ziehe ich Kürbisse, aus eigenen Kernen. Sie entwickeln sich schön, mit riesigen Blättern und Blüten, die man als Gemüse in Butter wenden kann. Die Kürbisfrüchte, es kommen etwa zwei bis vier aus 4 bis 5 Pflanzen, sind leckere rote Hokkaido. Zur Erntezeit gibt es sie im Reformhaus für weniger als € 2 das Stück zu kaufen, einen Unterschied kann ich nicht schmecken. Gekaufte Zucchini schmecken auch nicht schlechter als die aus eigener Ernte. Sie können auch in unseren Breitengraden sehr groß werden und sollten vorher geerntet werden, etwa wenn sie so groß sind wie kleine Schlangengurken, sonst schmecken sie nicht mehr. Bei ihnen hatte ich zweimal eine Schwemme erlebt, während derer man sich sogar unbeliebt machte, wenn man Freunden und Nachbarn die selbstgezogenen Zucchini mitbrachte. Auch sie aßen schon seit Wochen nur Gerichte mit diesem Gemüse. In anderen Jahren kamen keine.
Bei den Tomaten überzeugt der Geschmack, und deshalb versuche ich es immer wieder, obwohl inzwischen die Zeiten der wässrigen Hollandtomate vorbei sind und schmackhafte Sorten in die Läden kommen. Ich kaufe immer Pflanzen im Frühling, etwa drei Stück, und die Ernte könnte ergiebiger sein. Von den Tomatenschwemmen meiner Jugend träume ich weiter, wo man Tomatensuppe machen musste, um sie zu verarbeiten. Weil ich immer noch auf eine solche Schwemme hoffe, wird es auch in den nächsten Jahren Tomaten geben.
Wegen des besseren Geschmacks lohnen sich Kräuter, die ich inzwischen auf der Terrasse schneckenfrei halte. Von dem restlichen Gemüse schmecken mir vor allem Bohnen aus dem Garten um vieles besser als die gekauften, aber die brauchen Platz. Was wir ernten wächst eher auf den Bäumen oder Sträuchern. Meist reift auch der Wein, wenn wir im September und Oktober viel Sonne hatten, sonst wird er eher ungenießbar. Auch die Beeren schmecken ganz anders als gekaufte. Wir haben Erdbeeren, wilde, die am Beetrand wachsen, Himbeeren, die am besten von allem schmecken. Zu vollen Schälchen kommt es selten, die Früchte verschwinden noch im Garten im Mund. Schon sehr kleine Kleinkinder kennen den Unterschied zwischen Himbeeren und den nicht ganz so süßen Erdbeeren und vor allem den sauren Johannis- und Stachelbeeren. Bei Blaubeeren gibt es die großen Zuchtbeeren, die nur schmecken, wenn man die kleinen wilden schon lange nicht mehr gegessen hat. Die sind wesentlich intensiver. Wenn man keine Lust hat, sie zu pflücken, halten sie lange am Strauch, manchmal so lange, bis die Vögel sie finden. Bis zum Herbst gibt es Brombeeren.
Zum Glück haben wir nie so viel, dass man sich im Hochsommer an das Einwecken machen muss. Schon die Erinnerung an den Einkochstress in meiner Kindheit kann mir den Marmeladengeschmack verleiden. Statt für regelmäßige Pflück- und Einweckarbeiten lassen sich die Enkelkinder höchstens für einmalige Aktionen gewinnen. Wenn wir ernten, dann, weil es Spaß macht und später allen schmeckt.
Zweimal hatten wir angekeimte Kartoffeln verbuddelt und kleine runde Knollen von Pingpongballgröße geerntet. Sie waren aufwändig zu schälen, aber ganz lecker. Neulich schwärmte eine Bekannte von der Schönheit der Blüte der Kartoffelpflanze, die sie auf ihrem Balkon zieht. Im kleinen Büchlein „Berlin gärtnert“, herausgegeben von Jana Kotte (edition terra), wird erläutert, dass man selbst auf einem Balkon, in einem Sack von nur 15 Kilo Erde, über ein Kilo Kartoffeln ernten kann. So etwas reizt mich gar nicht. Warum Kartoffelblüten an einer Stelle sehen, wo Rosen blühen können?
Beeindruckt war ich von den vielen Kartoffelsorten in den Prinzessinnengärten in Berlin Kreuzberg. Dort wird öffentlich in Plastiksäcken, -eimern, -kästen alles Mögliche gezogen, was in Berlin so gedeiht, und eine große Auswahl an Kartoffelsorten. Der Boden gilt als verseucht und kann nicht zum Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden, und in den Säcken ist wertvolle, angelieferte Erde. Die Menschen kamen voll Elan zum Arbeiten, sie können die Ernte zum Vorzugspreis erwerben. Die Stimmung war überwältigend, aber nicht ansteckend. Mir sah das alles nicht schön genug aus. Ich sah die bunten und unförmigen Plastiksäcke mit ihren Kartoffelblüten und fühlte mich wie die Prinzessin auf der Erbse. Schnell fuhr ich wieder in den Berliner Westen in mein kleines Paradies.
Inzwischen weiß ich: Ein Nutzgarten soll mein kleiner Stadtgarten gar nicht werden. Gesät und gepflanzt wird, was Spaß macht. Das Ernten und Verzehren der Ernte soll den Speiseplan allenfalls erweitern. In meinem Garten schreiten wir von Strauch zu Strauch, von Pflanze zu Pflanze, freuen uns an den Kräutern und Früchten und naschen sie am besten vor Ort. Anders ist es mit Blumen. Darauf lege ich schon eher meinen Ehrgeiz. Und in den meisten Jahren bringe ich es zur Selbstversorgerin mit Blumen.