Was ist das beste Alter für das Gärtnern? Im Alter von fast vierzig Jahren verstand ich, dass das Gärtnern zu meiner wichtigsten Freizeitbeschäftigung geworden war. Als ich klein war, wohnten wir in einem Haus mit Garten und jeder kümmerte sich ein bisschen um ihn, am meisten unsere Mutter. Manchmal bekamen wir Kinder Geld für Gartenarbeiten.
Draußen Spielen war für mich das Schönste. Die vielen freien Grundstücke in der Gegend waren spannender als unser kleiner Garten. Besondere Mutproben stellte es dar, auf die hohen Birken und Eichen in leerstehenden Nachbargrundstücken zu klettern oder in ausgebombte Häuser zu kriechen, um dann schnell wieder rauszukommen, am besten mit einem kleinen Beweisstück aus der Tiefe der Ruine.
Obwohl ich ein Beet hatte, erinnere ich mich nur an selbst gezogene Radieschen. Aber auch an Johannisbeerschwemmen, bei deren Bearbeitung ich als einziges Mädchen im Hochsommer viel zu tun hatte, viel mehr als meine Brüder.
Als Studentin hatten mir Gärten nicht gefehlt. Später lebten mein Mann und ich mit zwei kleinen Kindern im Hochland von Tansania in Afrika mit Haus und Hof, zwei Gärtnern und zwei Köchinnen. Das Halten vieler Tiere, der Anbau und die Zubereitung unserer Lebensmittel standen im Vordergrund. Jedes Jahr erweiterten wir den Speiseplan. Im letzten Jahr speisten wir vorzüglich, täglich wurde frisch geerntet. Damals kam in Frankreich die nouvelle cuisine auf, und wir machten in der Ferne mit. In den Regenzeiten spross alles, in den Trockenzeiten konnten wir, genauer die Gärtner, wässern.
Neben unserem Haus blühte ganzjährig ein Christstern und auf dem Krankenhausgelände ein kleiner roter Hibiskus. Im Herbst blühten ein Jacaranda und ein Drachenbaum. In der Ferne gab es Sonnenblumenfelder, einmal hatten wir auch einen Bananenbaum, dessen Blüte uns sehr beeindruckte, vor allem mochten wir die dann folgenden Früchte. Wie ein Wunder war der Papayabaum. Er hatte sich neben die Haustür selbst ausgesät und trug nach zehn Monaten köstliche Früchte. Ich kann mich aber nicht erinnern, auch nur eine Blume angepflanzt zu haben. Erst kommt das Essen, dann die Blumen!
Während unserer Zeit in Afrika saßen wir auf einer Reise ins nördlich gelegene Kenia in einem Blumengarten, der zu unserem Hotel gehörte. Ich spürte ein großes Wohlbehagen und wollte nicht mehr weg, nicht mehr zurück in unser trockenes Hochland. Am Nebentisch bewunderten zwei kenianische Geschäftsleute die vielen Blumen, sprachen von einem Wunder und fragten sich, wie man so etwas erschaffen könne. Der eine sagte, ältere weiße Frauen (akina mama wazungu wazee) beherrschten diese Kunst. Obwohl ich noch jung war, fühlte ich mich angesprochen und freute mich auf das Älterwerden, wenn ich dann auch so einen schönen Garten haben würde.
Als wir in das Berliner Haus mit Garten einzogen, in dem mein Mann aufgewachsen war, brauchten wir die ersten Jahre, um anzukommen, Wurzeln zu schlagen und das Stadtleben leben zu können. Gartenarbeiten wurden eben gemacht, vor allem der Rasen gemäht und einige Zwiebeln gesteckt. Immer mehr habe ich über meine Erfahrungen, gute wie schlechte, nachgedacht und dazu Fragen gestellt. Ich wurde vierzig.
Mit dem Reden über Gärten hat für mich das Gärtnern begonnen. Am wichtigsten waren mir in den ersten Jahren die Rosen. Wenn es Erfolge gab, so machte mich das sehr zufrieden, vor allem, wenn ich meinte, dass diese Situation durch mein Eingreifen geschaffen worden war und es ohne mich nicht so schön wäre. Aber diese Erfolgserlebnisse waren eher Kopferfahrungen.
Eine Nachbarin schenkte mir die Biographie Vita Sackville-Wests, der englischen Gartenautorin, verfasst von Victoria Glendenning (Frankfurter Verlagsanstalt). Vita hat in Sissinghurst in Kent mit ihrem Mann einen viel gerühmten Garten geschaffen, als gemeinsames Lebenswerk. Beruflich suchte ich in dieser Zeit eine Neuorientierung als Gesundheitswissenschaftlerin, besonders gefiel mir das Tropeninstitut in London. Ich hatte viele der Mitarbeiter im Rahmen meiner Doktorarbeit über ein dörfliches Gesundheitsprojekt in Tansania kennengelernt, weil ich ihre Texte las und zitierte.
Die eigenen Kinder wurden Teenager und gingen nicht, wie ich mir gewünscht hätte, für ein Jahr ins Ausland. So ging ich. Obwohl der in London erworbene Master meinen weiteren beruflichen Werdegang beförderte: Ich denke, ohne den Wunsch, englische Gärten besser kennenzulernen, hätte ich das alles nicht so zielstrebig unter einen Hut bekommen. Als ich dann dort war, gönnte ich mir jeden Monat ein Gartenwochenende, erst nur in London, wo mitten im Winter Kamelien in den Stadtparks blühten, später reiste ich herum.
Erst Jahre später, so mit Anfang Fünfzig, spürte ich auch ein körperliches Wohlbehagen, einfach im eigenen Garten zu sein. Schönes Wetter hilft immer, aber dieses Gefühl stellt sich auch bei widrigen Witterungen ein. Es ist etwas anderes, ob ich nur spazieren gehe oder mir andere Gärten angucke. Das Draußen Sein in unserem Garten macht den Unterschied. Ich beobachte es auch bei den anderen Haus- und Gartengenossen, schon bei den Enkelkindern. Sie wollen alle mal, und wenn‘s geht, auch allein, im Garten sein.
Mein Blick geht dann hin und her, es kommen Erinnerungen an vergangene Zeiten, manchmal denke ich einfach nur daran, woher ich meine Pflanzen bekommen habe, aber auch an Zukünftiges. Ich plane große und kleine Veränderungen, halte sie im Kopf einige Tage durch, um wieder festzustellen, dass es so nichts werden kann. Dann wird erneut geplant. Meistens gehe ich dabei auf und ab, obwohl die Fläche nicht groß ist. Im eigenen Garten konnte ich nie andere Arbeiten machen, etwa konzentriert Fachliteratur lesen, der Blick schweifte zu oft über die Farben und Formen und, wenn es möglich war, auch in die Ferne. Vita Sackville-West sagte, dass sie gerne im Garten sitzt und denkt, und manchmal auch gerne einfach nur sitzt.
Gärtnern wird in kulturgeschichtlich orientierten Gartenbüchern oft als ein dem Menschen eigenes Bedürfnis beschrieben, es auszuleben mache glücklich. Hier fände er seine wahre Bestimmung, nirgendwo sei man Gott näher als in einem Garten. Das persische Wort für Garten ist das gleiche wie das für Paradies. Wie verschieden dann die Gärten gestaltet sind, hängt von den Sehnsüchten der Gärtner ab, von dem, wie ihr Paradies aussieht.
Ein gewisser Wohlstand ist notwendige Grundlage, das Dach über dem Kopf und genug zu essen, möglichst auch bei den Nachbarn, sonst könnte man sich nicht wohlfühlen. Ich kann mir gut vorstellen, was unsere tansanischen Gärtner gesagt hätten, wenn ich in der Trockenzeit Wasser auf Blumen verschwendet hätte. Gerade ein kleiner Stadtgarten wie unserer ist ohne die Nachbargärten nicht denkbar. Und man braucht Unterstützung! Wie sagt Klaus Foerster, der Gartenbuchautor, der große Wahrheiten knapp ausdrückt:
„Mangel an Menschen und Überfluss an Unkraut hängen oft zusammen.“
Die Bedingungen ändern sich während eines Lebens. Dann muss der Garten eben anders gestaltet werden, damit er wieder zum Leben passt. Ich sehe immer wieder, dass sich jemand dem Garten, oder genauer: der langjährigen Vorstellung, wie sein Garten zu sein hätte, unterwirft und dann so tut, als wäre es der Garten, der dies von ihm forderte. Anstoßen möchte man und sagen: He! Hier bist Du in Deinem Paradies und nicht im Fegefeuer oder der Strafarbeit! Es ist dann an der Zeit, sich das Paradies neu zu träumen. Bei uns wurde wieder alles anders, als die Enkelkinder ihre ersten Schrittchen im Garten machten. Mit meinen Texten beschreibe ich Entwicklungen und Veränderungen, wie sie bei uns geschehen und wie ich sie bei anderen beobachte.
Gärtnern wird auch als ein Wunsch beschrieben, sich von der Natur abzugrenzen, eigentlich in allen Epochen, die bekannte Gärten hervorgebracht haben. Bei manchen steht beim Gärtnern das Schaffen einer Ordnung im Vordergrund. Ich lasse mich lieber von den Pflanzen überraschen. Für die Einteilungen der Pflanzen in Ordnungssysteme interessiere ich mich kaum. Ihre Namen sind mir wichtig, um mich über Pflanzen unterhalten zu können und zu sehen, dass mein Gesprächspartner die gleiche Pflanze meint wie ich. Natürlich ist es sinnvoll, die lateinischen Namen zu kennen, aber, wo es geht, spreche ich lieber deutsch. Manche Namen sind einfach schöner: Tränendes Herz statt Dicentra oder Vergissmeinnicht statt Myosotis. In diesen Texten verwende ich bei Aufzählungen die gängigen, meist sind es die deutschen, Namen, und wenn eine Pflanze näher vorgestellt wird, auch die botanischen. Zu den Abbildungen, ihrem Nachweis und ihrer Beschriftung wird am Ende des Buches das Wichtigste gesagt.
Mein Paradies ist ein verspielter Garten, wo die Pflanzen mit Freude sprießen und blühen, aber auch in Würde verblühen, wenn es denn ihre Zeit ist. Sie sollen sich fühlen wie zu Hause. Und das rund ums Jahr. Um dieses Ziel zu erreichen, muss ich sehr viel beobachten, nachdenken, Erfahrungen mit anderen austauschen. So kann ich die für mein Paradies richtigen Pflanzen aussuchen, sie wie meine Gefährten fürs Leben erwählen. Als Erfahrenere habe ich viel Geduld mit meinen Pflanzen, etwa so wie mit den Enkelkindern. Das kommt mit dem Alter von ganz alleine. Und das Schönste ist, es wird mit der Zeit immer besser!