Woher kommt eigentlich das Saatgut für unsere Lebensmittel und was bedeutet samenfest?
Die Erfahrungen mit selbst gesäten Pflanzen passen seit einiger Zeit nicht mehr zu meinem Weltbild. Wenn die Rucolapflanzen anfangen zu blühen, während ich verreist bin, lasse ich die Samen ausreifen und freue mich drauf, sie im nächsten Jahr aussäen zu können. Aber, was danach kommt, ist holzig und schmeckt nicht. Als ich davon im Bekanntenkreis berichtete, erfuhr ich, dass die von mir gekauften Samen wohl Hybriden wären, und ich verstand, dass es besser wäre, wenn „Hybride“ nicht auf der Tüte steht.
Im letzten Frühjahr machte unsere Enkeltochter ein landwirtschaftliches Praktikum auf einem Biohof. Sie brachte, rechtzeitig nach den Eisheiligen, einige Pflanzen mit und ich bekam ein grüne Bohnen Pflänzchen. Es gefiel mir sehr gut, die Bohnen waren sehr lang und breit und ich beschloss, mir davon einige Samen zu ziehen. Obwohl ich alles richtig gemacht hatte, kam nichts. Auch als ich einige Bohnen ins Wasser legte, um sie zum Keimen zu bringen, passierte nichts. Das machte mich neugierig und seitdem lese ich viel darüber, aber es ist nicht leicht, das alles zu verstehen.
Jedes Jahr neues Saatgut erforderlich
Als Erstes fragte ich unsere Enkeltochter und erfuhr, dass die Betreiber des Biohofs Pflänzchen fertig gezogen kauften, und sie dann sowohl anpflanzten als auch verkauften. Sie kaufen also jedes Jahr die Pflanzen neu. Das Merkmal „Bio“ muss sich nur auf den Anbau der Früchte beziehen, sagt aber nichts über die Gewinnung der Samen aus. Klarheit brachte auch das Februarheft 2017 der Zeitschrift „kraut&rüben“: Das Zauberwort heißt samenfest. In einem Artikel werden die auf Samentütchen geläufigen Bezeichnungen erklärt und ich erfuhr, dass die Bezeichnung der Hybride draufstehen kann, aber nicht muss.
Wie geht es Ihnen mit diesem Geschäftsgebaren, welches dem europäischen und damit auch deutschen Recht entspricht? Ich fühle mich betrogen, wenn die Pflanzen nur für den einmaligen Gebrauch gemacht sind, und ich noch nicht einmal darüber informiert werden muss. Am liebsten will ich weiter träumen von der guten alten Zeit, in der Pflanzen von Bauern gezüchtet wurden. Über viele Generationen hinweg wurden so Pflanzen gefunden, die regional angepasst waren und sicher auch besser schmeckten.
Aber diese Zeiten sind vorbei und wir müssen uns mit den heutigen Produkten auseinandersetzen. Ich dachte, als Gesundheitswissenschaftlerin müsste ich dazu in der Lage sein. Aber mein Medizinstudium ist schon 50 Jahre her und die Erkenntnisse der Genetik haben sich seitdem vervielfacht, und werden es weiter tun.
„Die Züchter erzeugen zunächst Sorteninzuchtlinien, indem sie die Narben der Blüten mit dem eigenen Pollen bestäuben. Über viele Pflanzengenerationen hinweg entstehen so extrem homogene Pflanzen, die in Aussehen und Eigenschaften sehr einheitlich sind. Im letzten Schritt werden zwei möglichst unterschiedliche Inzuchtlinien gekreuzt. Die Samen, die diese Pflanzen ansetzen, werden als Hybridsaatgut verkauft, oft mit der Bezeichnung F1 hinter dem Sortennamen.“ (kraut&rüben 02/17, Seite 38 im Artikel Was steckt im Korn?)
Was machen die – und warum?
Obwohl ich diesen Artikel über zwei Monate mindestens fünfmal gelesen habe, schreibe ich lieber aus ihm ab. Denn so recht vorstellen kann ich es mir immer noch nicht, was da wie gemacht wird. Aber ich habe inzwischen das Warum verstanden. Ich fange mit den gerühmten Stärken an: Die Früchte sollen für möglichst viele schmackhaft und einheitlich sein und der EU-Norm entsprechen. Nur so könne die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden. In Zukunft wäre es durch „angepasste“ Sorten sogar möglich, Chemie in Form von Pflanzenschutzmitteln einzusparen. Irgendetwas sagt mir, dass das nicht gut gehen kann. Durch die Entwicklung der Saatguttechniken werden heute nur noch 25 Prozent der „verbreiteten Landsorten“ verwendet, in den Industrieländern sogar nur noch 10 Prozent – das beunruhigt mich.
Konzerne entscheiden, was wir essen
Global betrachtet liegt die Produktion in den Händen von drei Chemieriesen (Bayer/Monsanto, ChemChina und Dupont), von denen jedes Jahr aufs Neue die landwirtschaftlichen Produzenten ihre Samen kaufen. Die Konzerne liefern alles aus einer Hand: Saatgut und die passenden Pflanzenschutzmittel, die andere Pflanzen abtöten und darüber hinaus auch viele Insekten und in der Nahrungskette höher stehende Wesen. Die Riesen kümmert das nicht – Hauptsache, die Landwirte müssen jedes Jahr alles neu kaufen.
Hobbygärtner können sich meist den jährlichen Kauf neuer Samentütchen leisten; ja, es gefällt mir sogar, immer mal wieder was Neues auszuprobieren. Es geht mir jedoch, wie im Editorial der Zeitschrift kraut und rüben beschrieben, um das Vertrauen in Lebensmittel, die ich kaufe. Erst recht in die, die ich selbst anbaue.
Also „… ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und die Herkunft der gängigen Vermehrungs- und Manipulationsmethoden von und bei Saatgut zu kennen.“ Dabei erfahre ich, dass das Saatgut auch gebeizt werden kann, um die Lagerfähigkeit zu erhöhen. Dies ist etwas, was mich nicht beunruhigt, wenn dadurch das Saatgut nicht verändert wird. Warum muss das auf den Tüten vermerkt werden, aber nicht die Tatsache, dass das Saatgut nicht samenfest ist?
Der Kampf um die EU-Saatgutverordnung
Das bringt uns zur Politik. Das Heft von kraut&rüben berichtet auch vom Kampf, der in den letzten Jahren um die EU-Saatgutverordnung tobte. Immerhin gelang es, Schlimmeres zu verhindern. Die Saatgutkonzerne wollten den Verkauf von samenfestem Saatgut verbieten lassen, dies wurde aber 2014 im europäischen Parlament mit großer Mehrheit abgeschmettert. Länder bekamen größere Spielräume für eigene Regeln. In Österreich dürfen beispielsweise auf Märkten historische Sorten verkauft werden: „In Deutschland und Frankreich werden dagegen Bestrebungen dieser Art blockiert und relativ hohe Hürden für den Verkauf samenfester Sorten aufgebaut. Ist es ein Zufall, dass in diesen Ländern große Agrarkonzerne beheimatet sind? Hobbygärtner können anbauen, was sie möchten, auch das Tauschen, Verschenken und Wiederaussäen von samenfestem Saatgut wird zumindest toleriert. Doch wo kann man es kaufen?“
Um Saatgut verkaufen zu dürfen, müssen in Deutschland die Sorten registriert und zugelassen werden. Ein Vorgang, der mehrere Tausend Euro kostet. Die gute alte Zeit ist endgültig vorbei. Ich nehme mir vor, mehr darauf zu achten. Am besten man fragt in den Läden immer nach, ob das Saatgut samenfest ist. Einige Anbieter sind im Internet zu finden. Aber irgendwie tun mir die armen Verkäufer/innen schon leid, denn, ob sie es wissen? Und sie haben uns das nicht eingebrockt!