Jahrhundertweinlese

Dass ich das noch erleben darf – eine Jahrhundertweinlese! In diesem Jahr erfüllen sich alle langgehegten Hoffnungen auf eine gute Weinernte. Vor etwa drei Jahren schrieb ich das Kapitel Erntefreuden, immerhin dreißig Jahre, nachdem der Gutedel (franz. Chasselas) gepflanzt worden war. Die anderen dort beschriebenen sind kurz danach eingegangen. Der Gutedel wucherte und war dabei, den Dachüberstand zu erreichen. Ich las alles, was ich dazu kriegen konnte, und wie ein Mantra wiederholte ich immer: „Der Wein fruchtet nur an einjährigem Holz, das auf zweijährigem Holz wächst.“ So richtig begreife ich das immer noch nicht, aber es wurde klar, warum wir kaum noch Früchte geerntet hatten, über viele Jahre.

Nach aufwändigen Dichtungsarbeiten an der Südwand, wo mein kleines Senkgärtchen liegt, konnte ich hier ganz neu anfangen. Ich kaufte mir im Internet Weinreben, eine Vanessa und einen Muskat bleu, die zu unterschiedlichen Zeiten reif sein sollen. Sie kamen mit einem Etikett, das dazu riet, die Veredlungsstellen unter die Erde zu setzen. Und das, obwohl man überall lesen konnte, dass sie oberhalb sein soll.

Ich verbrachte eine intensive Woche damit, die richtige Anleitung zu bekommen, so lange wurde nicht eingepflanzt. Wer sich dafür interessiert, kann sich mit der Reblaus, die vor über hundert Jahren alle europäischen Rebstöcke vernichtete, auseinandersetzen. Es gibt auch auf YouTube Filme, wo man bei der Massenproduktion dieser Unterlagen zugucken kann. Hier nun die Kurzform: Alle Weinreben sind auf einer reblausresistenten Unterlage veredelt, um diese zu erhalten, muss die Veredlungsstelle über dem Boden bleiben. Deshalb wird hoch veredelt und sie sollen nicht tiefer gepflanzt werden, als sie im Topf sind.

So haben wir es gemacht und das Foto zeigt, wie gut sie sich in einem Jahr entwickelt haben. Muskat blau hat noch gar nicht geblüht, Vanessa recht gut, aber die Beeren bleiben klein, sie wollen wohl mehr Wasser, bis sie das Grundwasser erreicht haben.

Beim Beschneiden dieser beiden neuen ließ ich mich wieder von unserem Baumflüsterer (siehe das Kapitel Gärtnern mit Axt und Schere!) beraten. Er schlug vor, den Gutedel auf etwa zwei Meter einzukürzen. Nun hatten wir Zugang zum einjährigen Holz, wenn es auf älterem wächst. Und dies rechtzeitig zu diesem Weinjahr! Die Trockenheit machte ihm nichts aus, da die Wurzeln so weit nach unten wachsen, bis sie das Grundwasser erreichen.

Wir können vier Wochen lang jeden zweiten Tag so viel ernten, wie auf dem Foto zu sehen. Wir verschenkten viel und einmal habe ich sogar Weingelee gemacht. Die Trauben wurden mühselig mit der flotten Lotte gepresst, gesiebt und eingekocht. Wenn die Ernte im nächsten Jahr wieder so gut ist, erwägen wir, eine Weinpresse anzuschaffen!

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