Nachdem ich den Bericht über blühende Kamelien in Galizien gelesen hatte (DIE ZEIT 08/13), begann ich mit dem Planen einer Reise für die Monate Februar oder März, wenn die Blüten ihren Höhepunkt erreicht haben. Wir Rentner schafften es im folgenden Jahr. Kurze Internetrecherchen ergaben, dass es keine für uns geeigneten Reisen von Veranstaltern gibt. Nicht, dass wir lieber eine solche Reise gebucht hätten, wir sind überzeugte und inzwischen erprobte Individualreisende. Die Kataloge für Gartenreisen lasse ich mir seit vielen Jahren schicken und besuche Gärten, die mir darin interessant erscheinen, auf eigene Faust. Dabei entgehen uns vielleicht die Einladungen in Privatgärten, zur Teatime mit selbstgebackenen Scones. Bisher reichten mir die öffentlich zugänglichen Gärten für mein Gartenreiseglück.
In Galizien gibt es eine Gruppe von zwölf Parks, in denen Kamelien wachsen, die als „Ruta de la camelia“ zusammengefasst sind. Die meisten dieser Parks waren früher Adelssitze (Pazos), manche sind noch im Privatbesitz, andere sind öffentlich. Unterlagen auf Spanisch, Englisch und Französisch werden einem zugeschickt, ich bekam auch wunderschöne Hochglanzbildbände. Cir.turgalicia@xunta.es ist eine der Adressen, man kann die Kamelienstraße auch einfach googeln. Während in der Zentrale in Santiago de Compostela (Hauptstadt von Galizien) Mitarbeiter die englische Sprache beherrschen, sind die Beschäftigten der örtlichen Tourismusbüros nicht einmal auf Spanisch in der Lage, wichtige Fragen zu beantworten. Etwa danach, wie der Besuch in den Parks vonstatten geht, nach Öffnungszeiten, Dauer der Führungen oder Preisen. Selbst in den Orten mitten im Kamelienland (Pontevedra, Cambados) war mein Eindruck, dass viele Ortsansässige noch nie einen solchen Park besucht hatten, auch die Beschäftigten an der Hotelrezeption nicht. Die mussten bei den Parks für uns anrufen, denn in den schönen Broschüren stehen nur Telefonnummern, alle Informationen muss man erfragen lassen wenn man nicht gut Spanisch spricht.
Von Deutschland aus schien es ungewiss, wie man die Besuche planen könnte. Dann klappte es doch so, dass wir jeden Tag einen Park hätten besichtigen können, wenn nicht das Wetter… Unsere Unternehmungslust wurde gebremst durch dauerhafte Regenfälle, ich empfehle deshalb zwei Mäntel und zwei Paar feste Schuhe mindestens mitzunehmen. Galizien ist die regenreichste Gegend in Spanien, und genau das scheint den Kamelien gut zu gefallen. Inzwischen glaube ich, was in den Broschüren steht: Kamelien gehören zu Galizien, sie fühlen sich wohl, mindestens ebenso wie zu Hause in Ostasien. Auch nach unserer Rückkehr haben wir über viele Monate die Wetterlage in Galizien verfolgt, ich wurde immer beruhigt, weil es weiter ausgiebig regnete.
Die ersten Kamelien wurden im achtzehnten Jahrhundert aus ihrer Heimat in Ostasien mitgebracht, im nahen Porto steht die älteste in Europa, sie ist über 300 Jahre alt, und es soll ihr gut gehen. Wir sahen zwar 200jährige Magnolien (Magnolia grandiflora), die größeren Kamelien waren „nur“ etwa 150 Jahre alt, sie stehen in den Parks der Großgrundbesitzer und wurden uns stolz bei Führungen gezeigt. Viele von ihnen blühten Anfang März, also während der Monate des Blütehöhepunkts.
Mitte des letzten Jahrhunderts sind die Kamelien auch von der übrigen Bevölkerung angenommen worden, sie werden seither in öffentlichen Grünflächen und als Straßenbäume gepflanzt. Sie haben meist mehrere Stämme, wie ein Gehölz, welches unten verkahlt ist. Die Blätter- und Blütenpracht liegt dann wie ein Schirm über den Pflanzen. Die beschriebene Sorge des Bürgermeisters von Pontevedra konnte ich nun verstehen: Die große Blüte der Kamelie fällt als Ganzes ab, und nicht wenige Straßen waren mit Blütenblättern dichtbedeckt. Irgendwann geht die Farbe in ein Braun über, und es wird rutschig. In vielen privaten Vorgärten stehen kleinere Kamelien, so als wären sie in den letzten Jahrzehnten angepflanzt worden. Man sieht in den Städten und auch, wenn man durch die Dörfer fährt, immer wieder die Blütenfülle dieser weißen, roten oder rosafarbenen Schönheiten. So, als wären sie nun bei allen Galiziern angekommen.
Wir erlebten drei geführte Besichtigungen: Gleich am ersten Tag, es war ein regenreicher Sonntag, war es möglich, bei einer spanischsprachigen Führung dazu zu stoßen. Im Pazo Quinteiro da Cruz schlossen wir uns zwei Damen an und wurden vom Besitzer, Herrn Piñeira, für anderthalb Stunden geduldig geführt. Wir hatten Glück, denn eine der Damen war eine deutsche „profesora de español“ und übersetzte freundlich. Auch sie hatte den ZEIT-Artikel im Vorjahr gelesen.
Begleitet von drei Hunden, gingen wir im ausgeklügelten Zickzackkurs durch das Anwesen. Im Netz finden Sie, wie von den anderen Pazos auch, Bilder und Videos. Das Gut produziert den Albariño, einen fruchtigen Weißwein der Region, der besonders gut zu den köstlichen Fischmahlzeiten passt. Wir lernten einiges über die galizische Geschichte und die Entwicklung ihrer Landwirtschaft. Die Kamelien sind Herrn Piñeiras Leidenschaft, er kannte sie mit Namen, gut 200 Sorten waren es. Neben der Pflege der teilweise über Hundertjährigen, legte er in großen Umfang neue Pflanzungen an und zeigte stolz Raritäten, wie die seltenen gelben, daneben (fast) schwarze, die gerade nicht blühten. Ganz neu war eine Kamelie aus Vietnam, die im August, früher als die anderen, blühen würde.
Auf meine Frage, ob er Dünger bräuchte, um die Kamelien zu dieser Blütenfülle zu bringen, antwortete er stolz, mit leuchtenden Augen: „¡En Galicia, no!“ Der siliziumreiche Boden und das Klima reichten aus. Wir nickten überzeugt, inzwischen bis auf die Haut nass geworden. Kamelien wurden in China ursprünglich als Teepflanzen gehalten. Hier sahen wir eine kleine Pflanzung mit Teepflanzen, liebevoll von Bambusstangen eingerahmt, wodurch sie ein fernöstliches Ambiente bekam.
Am Ende war Gelegenheit, wie auch bei den anderen Pazos, Produkte des Gutes zu erwerben: Karten, Wein und auf der Grundlage von Kamelienöl gefertigte Seifen.
Der nächste Besuch galt dem großen Anwesen Pazo de Rubians, ebenfalls seit Jahrhunderten im Familienbesitz, wir wurden geführt von einem jüngeren Mitarbeiter, einem der 16 Angestellten des Gutes. Die Produktion des Albariños ist auch hier die wichtigste Einkommensquelle. Die Herrschaften leben im Winter in Madrid, man erwartete sie zu Ostern, danach würden sie im Sommer hier weilen. Ein guter Teil der Besichtigung galt den Wohnräumen, die museal wirkten, trotzdem durften wir mit Schmutzstiefeln über die Perserteppiche gehen.
Hier ging es viel um andere Pflanzen, obwohl es neben den alten auch neue Anpflanzungen von Kamelien gab. Eine Besonderheit ist ein Eukalyptusbaum mit über zehn Metern Umfang. Mir war schon am Tag der Ankunft aufgefallen, dass es im Lande zu viele Eukalyptusbäume gibt. Als ich Herrn Piñeira danach gefragt habe, hat er tief Luft geholt und geklagt: „¡Es un malo!“ Hier war man auf dieses Übel eher stolz. Wir waren zu viert, und auch in diesem Pazo wurden wir geduldig geführt, es gab eine Weinverkostung, leider zu einer Zeit, wo ich Wein noch nicht genießen kann. Und zum Schluss wurden Fotos von uns mit Joaquín, dem Führer, gemacht. Für Facebook, vor einem großen Eukalyptusbaum.
Die letzte Führung, durch den Pazo da Saleta, wurde der Höhepunkt unserer Kamelienreise. Dass an diesem Nachmittag endlich die Sonne schien, rundete die Reise ab. In der Broschüre, wie man sie sich für die einzelnen Parks zuschicken lassen kann, steht bei A Saleta, auf galizisch, spanisch und hier nun englisch: „White, pink, red and purple camellias thrive in this garden, showing petal fans, that say goodbye to winter season and welcome spring.“ (Weiße, pinke, rote und purpurfarbene Kamelien gedeihen in diesem Garten, zeigen ihre Fächer aus Blütenblättern, die den Winter verabschieden und den Frühling begrüßen.)
Hier durften die Kamelien so wachsen, wie sie wollten, die Äste küssten den Boden, so schwer waren sie von ihrer Blütenlast. Während sie in den öffentlichen Parks und auch im Pazo de Rubians unten herum freigeschnitten waren, wirkten sie hier so, wie ich mir ihr natürliches Wachsen vorstelle. Es gab Dutzende von diesen großen, über fünfzigjährigen Sträuchern, deren blühende Zweige sich wie Baldachine über weite Räume ergossen. Blanca und Silvie Coladas, Mutter und Tochter, begrüßten uns vor dem Haus. Ihr Garten war in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts von der englischen Familie Gimson angelegt worden; inzwischen lebt Frau Gimson, verwitwet und hochbetagt, in England. Manchmal kommt sie zu Besuch. Das große Anwesen fand keinen Käufer und musste geteilt werden, die Coladas erwarben ein Viertel, allerdings das Herzstück, zu dem die Gebäude, wie bei den anderen auch hier mit einer kleinen Kapelle, gehören.
Die Gimsons hatten die Pflanzen bereits katalogisieren lassen, einige der alten Namensschilder sind noch vorhanden. Die neuen Besitzerinnen haben dies aktualisiert, so dass man auch gut allein durch den Garten schlendern könnte. Aber wir wurden sehr aufmerksam geführt. Die Damen waren beide elegant gekleidet, bis zu den Füßen. Meine Freundin Hildegard war beeindruckt, vor allem von Silvie, der Tochter. Sie hätte trotz der zweckmäßigen Gummistiefel einen Gang, wie man ihn sonst nur von Highheels bekäme. Sie ahnte wohl schon, dass sie, als Silvie Tartán, einen Blog hat, den zu verstehen man wohl besser Spanisch und Galizisch können muss. Es geht viel um Mode.
Die Hüterinnen dieses Parks versuchen, das Übernommene zu erhalten, und pflanzen weiter an. Der Garten war, bei aller Natürlichkeit, gut in Schuss. Auf die Frage, wie viele Gärtner sie hätten, sagten sie, nur einen, manchmal noch einen halben dazu. Ich bin immer noch beeindruckt, wie einfach es sein kann so viel Schönheit zu gestalten und zu erhalten. Alle meine Vermutungen zu Frauengärten wurden belebt. So etwa wird es in meinem Paradies sein, wie ich es mir erträume. In diesen Garten käme ich gern wieder, mit Blanca und Silvie, aber auch allein für Wohlfühlstunden. Oder ich stelle mir vor, wie Kinder in den Räumen hinter den dichten Blütenvorhängen Versteck spielen, und vielleicht lassen sie mich mitspielen.