Wenn die Stauden im Frühling durch die Erde kommen, erscheinen sie mir immer wie kleine Wunder: Nach monatelangem Winterschlaf melden sie sich zurück, auch der Staudengarten im lichten Schatten. In den ersten Jahren, in denen ich sie noch nicht so gut kannte, kam noch die Überraschung dazu, wer sich da wohl zeigen möchte und wann sie blühen würden. Im Frühling zum Beispiel das Lungenkraut (Pulmonaria), dann Pfingstrosen (Päonia) und die Tränenden Herzen (Dicentra), im Sommer die Sterndolde (Astrantia), Schafgarbe (Achillea), Flammenblumen (Phloxe), Rudbeckien, Glockenblumen (Campanulae) und Fetthenne (Sedum) und im Herbst die Gräser, Eisenhut (Aconitum), Chrysanthemen und Astern.
Da wir kaum hohe Bäume in unseren Gärten haben, liegen die meisten Beete im lichten Schatten. Den Schatten werfen die Häuser, unseres eingeschlossen, die Obstbäume und die hohen Sträucher. Die Sonnenflächen überwiegen zwar, aber sie sind dem Rasen, als Bereich zum Sonnen oder Spielen, vorbehalten. Und damit sind die Sonnenplätze schon fast aufgeteilt. Denn die Rosen sind als Königinnen immer in der Sonne, die Lilien und die Ein- und Zweijährigen oder geschenkte oder gekaufte Neuheiten, eigentlich müsste es mehr Sonnenplätzchen geben!
Es geht also darum, zu sehen, wer mehr Schatten verträgt. In diesem Spiel gibt es Regeln, die sich rasch ändern: Wie kann ich vorhersehen, wie der Strauch oder der Baum über der Pflanze sich entwickelt? Vielleicht so sehr, dass er abgeschnitten werden muss und dann plötzlich ein überstrahlter Sonnenplatz entstanden ist? Also kürze ich einige der Schattenspender, oder, leider immer wieder notwendig, ich pflanze um.
Stauden machen Arbeit. Gerade wenn sie gut gedeihen, machen sie am meisten Arbeit, sie müssen nach drei bis fünf Jahren geteilt werden. Es gibt bei uns im Garten einen schönen Tuff mit königsblauen Flockenblumen (Centaurea), er mag die Sonne. Als er größer wurde, versuchte ich ihn an anderer Stelle, möglichst sonnig, anzusiedeln, ohne Erfolg. Einmal habe ich welche aus dem Burgund mitgebracht, wo sie bei einer Freundin einen breiten Teppich bildeten, bei mir gingen sie ein. Diese Mühen mit den Stauden sind sicherlich der Grund, warum sie aus den öffentlichen Gärten der Stadt verschwinden. Eine Ausnahme gibt es in Berlin an einem Teilstück des Olivaer Platzes, am Kurfürstendamm, zu bewundern. Die Anlage hat Sponsoren, und die Pflege ist eine Projektarbeit von Studenten der Landschaftsplanung. Dort gehe ich immer hin, wenn ich schöne Stauden sehen möchte. Es gibt sogar Namensschilder für die Pflanzen, leider nicht für die Gräser, dabei sind die Gräser im Herbst dort am eindrucksvollsten. Die Schilder müssten öfter aktualisiert werden, denn Stauden sind beweglich. Allerdings ist es im Botanischen Garten auch nicht besser.
Für mich sind Stauden die kontaktträchtigsten Pflanzen: Mehr als die Hälfte meiner Stauden sind Ableger von meinen Gartenfreundinnen (immer noch keine Männer dabei!). Ich habe schon beim Spazierengehen Fremde auf ihre Stauden hin angesprochen und bekam Ableger angeboten. Gepflanzt wird meist im Herbst und im Frühling kommen sie dann eine nach der anderen aus der Erde.
Manche sind wahre Schattenwunderkinder: Während die frühen Anemonen, die Buschwindröschen, noch keine schattigen Bäume über sich haben, wenn sie blühen, müssen sich die Herbst-anemonen (Anemona japonica) dann gegen deren Schatten behaupten. Im Frühling, wenn das Laub der Bäume beginnt, seinen Schatten zu werfen, blühen Waldmeister (Galium) und Maiglöckchen (Convallaria majalis), die Elfenblume (Epimedium), ich habe sie in weiss, gelb und rot. Dann kommt der Frauenmantel (Alchemilla mollis). Seine runden Blätter sind gefächert, wenn sie aus der Erde vorgucken, und glätten sich allmählich. Später, fast schon im Sommer, blüht er recht unscheinbar in einem grünlichen Gelb. Seine Schönheit liegt in den hellgrünen, leicht silbrigen Blättern. Am auffälligsten sind Wassertropfen auf diesen Blättern: Sie brechen das Licht wie Kristalle. Wenn eine Kristallperle irgendwo durch die Blätter funkelt, kann man sicher sein, dass es ein Wassertropfen auf einem Frauenmantelblatt ist.
Schon früh kommt im lichten Schatten die Waldlilie (Trillium), mit reichlich Blättern pro Blüte durch die Erde und blüht in einer großen Glocke, bei mir sind sie rot und weiß. Bald darauf drängen die Salomonsiegel (Polygonatum) hervor, mit kräftigen phallusartigen Sprossen, die sich schnell vergrößern. Im Mai, wenn sie blühen, ist der Schatten über ihnen schon ausgeprägt. Viel später kommen die Funkien (Hosta), die Glockenblumen (Campanula) und die große Sterndolde (Astrantia major) in weiß und rot, sie streben mehr der Sonne zu. Auch im späten Frühling rollen sich, weiter hinten im Schatten, Farne langsam zu ihrer Höhe auf.
Ein Sensibelchen ist mein Mädesüß (Filipendula), eine zarte Staude mit gefiederten Blättern, die auch im Schatten blüht, sich aber schlecht verpflanzen lässt. Eine andere begabte Schattenpflanze ist die Silberkerze (Cimicifuga), die mit ihren langen weißen Bürsten im Spätsommer anfängt und bis in den Herbst hinein blüht. Sie braucht wenig Sonne und eignet sich daher zum Aufhellen dunklerer Bereiche.
Am besten gedeihen die Stauden, die wir übernommen haben, die Farne, der Waldmeister, die Maiglöckchen, die Astern, die Elfenblume, dann die Ableger von Gartenfreundinnen. Am kräftigsten vermehrt sich die schon erwähnte Herbstanemone, die in einem hell-rosa Ton wochenlang blüht, und auch als Schnittpflanze in der Vase besteht. Sie kann es nicht nur im Schatten, sondern hat sich allein in der magersten und heißesten Trockenecke, an der Hauswand der Garagenauffahrt, hingesetzt und blüht und blüht. Bei einer Freundin hat sie den Sommer durch im Topf geblüht, leider aber den Winter nicht überstanden, nun bekommt sie jedes Frühjahr eine neue Pflanze. Es gibt sie bei uns auch in weiß und rot, die sind aber weniger wüchsig und brauchen mehr Sonne zum Blühen.
Einige Pflanzen möchte ich noch beschreiben, die mit ein paar Sonnenstunden am Tag doch besser zurechtkommen als im Schatten: Das Immergrün (Vinca) blüht meist in einem hellen Blau, es gibt sie aber auch in rot und weiß. Sie liegt mit ihren langen Strängen auf dem Boden, man kann sie schön herunterranken lassen. Leider blüht sie nur im Frühling, ihr Charme liegt auch in den dunkelgrünen, manchmal rötlichen glänzenden Blättern, die die Form kleiner Lanzenspitzen haben. Es gibt sie in groß und klein: Die Vinca major ist zwei bis viermal größer als die minor, giftig sind beide.
Günsel (Ajuga) ist ein anderer Bodendecker, der eine schöne dunkelrotbraune Farbe hat, mit glänzenden Blättern und kleinen blauen Blüten im Frühling. Er vermehrt sich im lichten Schatten; zur Blüte braucht er aber schon etwas Sonne. Purpurglöckchen (Heuchera sanguinea) und Porzellanblumen (Saxifraga urbicum) sind auch sehr dankbar, sie vermehren sich gut und blühen selbst im Halbschatten. Die Heuchera mit den dunkelroten Blättern ist winterhart. Zuverlässig, selbst im tiefsten Schatten, blüht die Golderdbeere (Waldsteinia ternata), sie ist meine Königin des Schattens.