Nach der Plage ist vor der Plage

Nach der Plage ist vor der Plage
Tafel aus dem Schädlingsbuch von v. Schilling von 1898.

Dieses Kapitel Nach der Plage ist vor der Plage ist ein Auszug aus meinem Buch Blütenfreuden.

Seit letztem Jahr bekämpfe ich mit allen Kräften das Scharbockskraut (Ranunculus ficaria). Vor Jahren fand ich es noch lustig, dass es bei Schlecker im Karton für wenig Geld angeboten wurde, und dachte, vielleicht könnte ich noch einmal Geld damit verdienen, weil ich es ja reichlich habe. Inzwischen ist mir das Lachen vergangen. Es dehnt sich überall aus. Die Blätter kommen zum Frühlingsanfang, in kleinen runden Nestern, und sie blühen in Gelb, mit einer Blüte, die für die Größe der Blätter bemerkenswert groß und sogar hübsch ist. So ließ ich über Jahre zu, dass es sich vermehrte. Inzwischen verdrängt und durchwächst es alles andere. Das Kraut hat hellbraune runde Knötchen über den Wurzeln, die gerne drin bleiben, wenn man sie zupft. Das ist wahrscheinlich sein Überlebenskonzept. Diese Knötchen können Durchmesser von bis zu 3 mm haben, es sind immer mehrere nebeneinander. Nun versuche ich, sie überall auszustechen, es wird sicher eine meiner Lebensaufgaben. Ich rede immer von meinem kleinen Garten, jetzt kommt er mir sehr groß vor. Der Rasen, um den ich mich nicht kümmere, weil das andere tun, ist auch befallen, und ich befürchte, auch dort wird man um die mühevolle Handarbeit nicht herumkommen.

Tafel aus dem Schädlingsbuch von v. Schilling von 1898.

Anders entwickelt es sich beim Giersch (Aegopodium podagraria). Es gelang zwar mit Handarbeit, ihn auf die sechs Stellen im Garten zu begrenzen, wo er vorkommt, aber nie, ihn wirklich zu vermindern. Man müsste alle Teile ausstechen, und es reicht ein kleines Stück von der Wurzel, um eine neue Pflanze entstehen zu lassen. Deshalb kommt er auch nicht auf den Komposthaufen, aus Angst, er könnte sich darüber vermehren. Wo er herkommt, ist eine Ansichtssache. Schon die Gespräche mit der einen Nachbarin bringen mich immer zum Schmunzeln, denn sie meint, er käme von uns. Da ein großes Gierschfeld direkt unter dem Zaun liegt, könnte ich genauso sagen, er käme vom Nachbarsgarten. Sage ich aber nicht. Es stimmt ja, dass sie bei seiner Bekämpfung sorgfältiger sind als wir. Eine interessantere Version über seine Herkunft erfuhr ich kürzlich. Eine gebürtige Westberlinerin meinte, er käme aus dem Osten. Erst nach der Wende hätte sie Giersch in einem Zehlendorfer Garten gesehen. Bei uns in Wilmersdorf, also auch im Westen, war er allerdings schon lange vor der Wende da, musste ich einwenden.

Nachdem ich las, dass man Giersch als Spinat essen kann, habe ich es mit frischem Gierschgrün versucht; es lohnt die Mühe nicht und war nicht, wie beschrieben, aromatisch, eher streng und bitter. Vielleicht komme ich in Hungerzeiten noch einmal darauf zurück. Aber es gibt Hoffnung: Gierschfrei wirkt! Man besprüht die Blätter damit, und Giersch verschwindet, andere Pflanzen wachsen weiter. Wir hoffen, dass es so bleibt, aber etwas unwohl ist mir dabei schon. Meinem Mann macht die Ausrottarbeit mit der Sprühflasche großen Spaß, er wird böse, wenn ich die traditionelle Methode anwende und ihm damit seine Opfer vorenthalte. Ein Anruf beim Pflanzenschutzamt ergab, dass die Substanzen (Pelargonsäure und Maleinsäurehydrazid) zwar nicht lange giftig seien, da sie schnell abgebaut würden, aber nicht angewandt werden sollten, wenn in dem Boden zukünftig essbare Pflanzen angebaut werden sollten. Aber was ist schnell und wann ist Zukunft? Mein Unbehagen bleibt bestehen.

Das erste Unkraut, das in unserem Garten zur Plage wurde, war Hahnentritt, auch Hahnenfuß (Ranunculus) genannt. Sein Auftreten ist Zeichen von guten Bedingungen in einem Garten, aber auch von zu großer Dichte. Obwohl gewarnt, blickten wir mehrere Jahre zu, bis die Ableger in vielen Lagen übereinander vernetzt waren. In dieser Phase meines Gärtnerlebens freute ich mich noch über die kleinen gelben Blüten, die in Frankreich liebevoll boutons d’or, Goldknöpfe, heißen. Der Spruch von Karl Förster: „Es wird durchgeblüht!“ war damals die Leitlinie, jedoch noch ohne Ansprüche an die Qualität der Blüte. Es dauerte danach etwa 10 Jahre regelmäßiger Ausstecharbeit, Kinder wurden mit fünf Pfennig pro Stück entlohnt, bis der Hahnentritt verschwunden war, nun kommen nur noch selten Ableger, sicher unter hundert im Jahr. Auch den Löwenzahn hatten wir eine Zeit lang im Überfluss. Wir entwickelten die gleiche Methode der Bekämpfung, die anfangs sehr gut schien: Unser Sohn und sein Freund bekamen je fünf Pfennig für eine komplette Pflanze mit Wurzel. Irgendwann fiel uns auf, dass immer noch welche geliefert wurden, obwohl der Garten schon leergeräumt war. Die Erklärung: Sie hatten aus Nachbargrundstücken ihre Ware geholt.

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Der nächste große Einsatz galt Topinambur, einer großen gelb blühenden Pflanze, deren Wurzel man essen kann. Hier zeigte der Geschmackstest, dass sie nicht für unseren Speiseplan geeignet war, und nach nur zwei Jahren war sie bekämpft. Inzwischen las ich bei Jürgen Dahl in den Neue(n) Nachrichten aus dem Garten, dass er sie lange verschmähte, weil sie gekocht nicht schmecken, aber roh geraspelt wären sie köstlich. Nun werden sie vorgemerkt für Notzeiten.

Dann kam eine Lampionblume (Physalis), die sich über viele Meter entlang einer Beetkante ausdehnte. An einem Beet bekam sie eine zweite Chance, und ich dachte, ich könnte sie unter Kontrolle halten. Hier gab es in vielen Metern Entfernung von der ursprünglichen Pflanze wieder Ableger. Inzwischen habe ich sie nur noch in einem Kübel, wo sie, nachdem ich sie kalkte, in Herbst und Winter mit ihren hellroten Lampions schöne Farbtupfer setzen.

Irgendwann bekam ich großes Chinaschilf (Miscanthus) geschenkt. Seine Blüten sollten im großen Blumenbeet in der Mitte des Gartens, wo einst der erste Buddelkasten gestanden hatte, wie eine Wolke über den anderen Pflanzen stehen. Wir nennen es florales Zentrum. Das Chinaschilf vermehrte sich mit großer Kraft in alle Richtungen, andere Pflanzen machten einfach Platz. Als ich es ausgerissen hatte, wünschte ich, ich hätte wenigstens etwas für einen Kübel behalten. Kurze Zeit später begegnete ich einem Gärtner, der gerade laut schimpfend sein Chinaschilf ausgrub und wegschmiss. Nun habe ich es in einem Kübel und warte seit Jahren auf die schöne rosa-silbrige Wolke, leider mickert es im Kübel.

Beim Scharbockskraut wuchs in der größten Not das Rettende heran: In Gestalt des damals sechsjährigen Leander, der für einen Cent pro Pflänzchen sehr flott auf fünfzig Cent Verdienst kam. Dabei zählte er laut: achtunddreißig, neununddreißig, zehn und dreißig. Wir erarbeiteten uns, altersentsprechend, den Zahlenraum bis Hundert.

2 Kommentare

  1. Hallo Eva,
    ich brauche dringend einen Leander! Ob die mir aus der Kita nebenan einen ausleihen? Oder drei – oder zehn? Die könnte ich gebrauchen und die lieben Kleinen würden zählen lernen bis in den Billionenbereich. Unglaublich wie sich das Scharbockskraut ausgebreitet hat. Gierschfrei nützt nur für den Moment. Ich spreche aus Erfahrung. Auch hier nützt nur ausbuddeln soweit möglich und ein paar Jahrzehnte durchhalten. Und die anderen? Ja, die habe ich auch schon durch – alle! Mann könnte meinen du wärest in meinem Garten gewesen. Bis auf den Leander natürlich.
    Viele Grüße
    Claudia

    1. Liebe Claudia,

      vielen Dank für diesen empathischen Zuspruch! Da Leander groß geworden ist, mussten wir lernen, mit dem Scharbockskraut zu leben. Sind doch hübsche kleine Blüten!

      Herzlich,

      Eva

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