Frau Ruge kennt und verehrt Kühe, für dieses Buch hat sie breit recherchiert, besonders interessiert sie die Rolle, die Kühe in den Kulturen der verschiedenen Epochen für Menschen spielten. Dabei geht es ihr um die Beziehungen der Menschen zu ihren Rindern. Sie kennt sich mit Kühen aus: für die Laien werden anfangs alle Bezeichnungen, von Färse bis zur Kuh erklärt, auch, wofür der Stier gut ist, aber was der Ochse nicht kann.
Das Buch ist sehr persönlich, sie ist auf dem Hof aufgewachsen, den ihr Bruder übernommen hatte. Regelmäßig fährt sie von der Großstadt, in der sie lebt, dahin. Der Hof wird jetzt von ihrem Neffen, mit Hilfe mehrerer Familienmitglieder, geführt. Er ist Milchbauer mit 140 Kühen.
In drei Teilen bearbeitet sie den Stoff. Im ersten Teil werden die Herangehensweisen an das Thema vorbereitet, erst das Persönliche, dann die großen Veränderungen in der heutigen Landwirtschaft, aber auch, wie es in Kunstformen behandelt wird.
So gibt es Kapitel zu „Höhenmalerei, Sesshaftigkeit und Ackerbau“ und “Kuhgöttinnen, Gilgamesch und hornlose Kühe“. Schon in ihrem ersten Buch „Bauern, Land. Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang“ Rezension: Bauern, Land: Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang von Uta Ruge, gibt es diese Aspekte: Persönliche Reflexionen, Geschichtliches und Kunst. Auch hier bespricht sie einige Kunstwerke, drei sind abgedruckt, der Verlag stellte sie mir zur Verfügung. Beachten Sie das Copyright!
Im zweiten Teil bereist sie Höfe innerhalb von Deutschland, zum kuscheligen Familienhof, der organisch aufgestellt ist, nach Bayern, wo sie die Altbäuerin Pauline etwas fragt, was sie „noch nie einen Bauern oder eine Bäuerin gefragt“ hat: “ „Was ist so gut an Kühen?“ Pauline wundert sich nicht, und sie hat viel dazu zu sagen. „Kühe sind beruhigend. Jede hat ihren eigenen Charakter. Man kennt sie ein Leben lang, vor allem, wenn man sie selbst aufgezogen hat.““ Das sprach ihr sicher aus dem Herzen.
Dann geht es zur großen Milchfabrik, wo sie den Betreiber von 1750 „gemolkenen Kühen“ interviewt. Sie erfährt: „Gemolken wird 24 Stunden am Tag in Schichten von je acht Stunden, die Uhrzeiten der Schichten sind 04 -12,12 – 20, 20 – 04 Uhr. Jede Kuh wird dreimal in 24 Stunden gemolken, durch eine dritte Melkung erhöht sich der Milchertrag um 10 bis 15 Prozent.“ Hier fremdelt sie und fragt sich, was es mit den Beziehungen zu den Tieren macht. “Vielleicht ist es die Frage, wie man leben will.“
Die beiden ersten Teile habe ich als Weiterführung des Buches „Bauern, Land.“ gelesen. Neu war mir Einiges, etwa, dass den Kühen wegen der Lagerhaltung die Hörner abgenommen werden, dies wird 2030 zur Pflicht. Bei den Besuchen anderer Milchbauern werden die verschiedenen Stufen der technologischen Entwicklungen der Milchindustrie beschrieben, und auch, was sie kosten.
Im dritten Teil geht es um die Geschichte von Mensch und Kuh: In der griechischen Mythologie spielen gerade Stiere eine Rolle (nicht nur der, auf dem Europa reitet!). Sie gibt viele Beispiele und „Götter mögen Rindfleisch“, folgert sie.
In der Achsenzeit, das ist das Jahrtausend vor Christi Geburt, entwickelt der Mensch „das Bewusstsein über sich selbst“. Neue Tugenden werden wichtig, wie Mitleid mit anderen Kreaturen. Etwa in dieser Zeit, als das Alte Testament entstand, wird das Göttliche an Kühen abgewertet. Das Heidentum wird zum goldenen Kalb, das nicht angebetet werden soll.
Als das Christentum im Römischen Reich Staatsräson wird, werden Rinder zunehmend verteufelt; nicht zufällig hat der Teufel Hörner. Mythos wird durch Logos ersetzt. Gut sind Lämmer, in der Kunst beobachtet sie auf Krippendarstellungen Kühe als kleine Randfiguren. Und warum sind in Indien die Kühe heilig?
Nach diesen geistigen Ausflügen geht es zurück ins Hier und Jetzt zum Hof des Neffen.
Sie weiß genau, wieviel Bauern „ackern“, wie sie täglich Verantwortung tragen, wie eingeschränkt sie bei der Gestaltung ihrer Freizeit sind. Der Neffe muss sich entscheiden, welche Investitionen anstehen. Er würde gerne einen neuen Stall bauen, für die 2 Millionen Euro gibt es keine guten Kredite, die Banken bevorzugen Großes, er müsste sich um 30 Jahre verschulden. Für eine unterirdische Güllekammer als Fundament, denn die Vorschriften regeln, dass Gülle nicht ins Grundwasser gelangen soll, gibt es von den Banken nichts. So werden viele Vorschriften, sei es im Tierschutz oder zu Pestiziden, als Gängeleien beschrieben und abgelehnt.
Seit ich vor fünf Jahren das Buch Die Akte Glyphosat Rezension: Die Akte Glyphosat von Helmut Burtscher-Schaden las, verstand ich, welche Rolle Lobbyisten, dort die Herbizidproduzenten, spielen. Nicht besser sind Finanzlobbyisten. Dieser Aspekt hätte hierzu gepasst.