steht am 21.1.24 im Tagesspiegel (Tsp). Cem Özdemir wird von einer 7 oder 8 Tausend Menschen großen Demonstrantengruppe diese Protestnote überreicht, wie es sich zur Grünen Woche gehört. Er reagiert sachlich: “Die Forderungen, die ich hier höre, passen im Wesentlichen zum Programm meines Ministeriums. Das ist nicht auf allen Bauernkundgebungen so. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die bei den anderen Protesten sind deutlich mehr.“
Aber warum hat die BRD sich im Oktober 23 der Stimme enthalten, als über das Ende des Glyphosat Gebrauchs in Europa abgestimmt wurde? Der einzige Trost: Immerhin gilt es nur für zehn Jahre, fünfzehn wären möglich gewesen. Aber die wichtigere Frage: Warum finden die Proteste so viel Sympathie, obwohl die konventionelle Landwirtschaft unserer natürlichen Ressource, den Böden schadet?
Die Berichte über diese Schäden finden selten den Weg in die Öffentlichkeit. Etwa, als von den Plänen zu dieser Entscheidung berichtet wurde (Tsp 22.9.23) wurden mehrere „Fachleute“ benannt, die etwa kritisierten, dass von „Auswirkungen auf Bodenorganismen und Bodengesundheit im Vorschlag noch nicht einmal erwähnt“ sind, aber Genaueres über die Fakten, die diese Fachleute vorbringen könnten, konnte ich nicht finden.
Seitdem ich vor über vier Jahren das Buch „Die Akte Glyphosat“ Rezension: Die Akte Glyphosat von Helmut Burtscher-Schaden rezensiert habe, verfolge ich die Berichterstattung, und frage mich immer öfter, ob es erfolgreiche Lobbyarbeit ist, wenn bei der Debatte ein zwar bedauernswertes, aber eher seltenes Detail, die menschlichen Krebserkrankungen, zum Gradmesser wird. Dazu wurde schon bis zum Buch recherchiert (erschienen 2017). Aufgrund von Gerichtsbeschlüssen in den USA sind diese Dokumente einsehbar. Damals staunte ich noch darüber: Die Firma Monsanto hatte sehr viel investiert, auch bei wissenschaftlichen Gutachtern… Inzwischen hat Bayer das Produkt übernommen.
Zur Erinnerung: Glyphosat wird von dem Betreiber gerne Pflanzenschutzmittel genannt, ist im Gegenteil ein Herbizid, also ein Kräutertöter, der von der US-Amerikanischen Firma Monsanto entwickelt und seit dem letzten Jahrhundert international vertrieben wird. Es tötet alle „Unkräuter“ ab, das Saatgut, das jedes Jahr neu zu kaufen ist, ist so präpariert, dass es nicht abgetötet wird.
Und es gibt viele Schaden, aber erwähnt werden von den Verteidigern von Glyphosat die Krebserkrankungen des Menschen, das Framing ist dann: „Das umstrittene…“. Die Krebserkrankungen entwickeln sich nach Jahren, mal Jahrzehnten. Deshalb ist es schwer, dafür einen Faktor als die einzige Ursache zu belegen. Die WHO meint ja, andere Zusammenschlüsse meinen nein, und man kann sich aussuchen, wen man zitiert. Aber über die Jahrzehnte mehren sich wissenschaftliche Erkenntnisse, etwa über Leukämie bei Kindern in Südamerika, wo viel Soja produziert und dazu viel Glyphosat eingesetzt wird.
Genug gäbe es zu berichten von den Schäden, die wir schon hier und heute sehen: an den Böden, im Wasser, bei der Artenvielfalt. In den Böden werden alle organischen Bestandteile, abgetötet. Glyphosat wirkt auch antibiotisch und die Resistenzen von Bakterien nehmen zu, wegen der Belastung des Trinkwassers, alles das, was wir heute sehen können. Dazu Zahlen von 2023: 75% der Insektenarten und die Hälfte der Feldbrutpaare sind verloren…
Näher an der Realität wäre folgende Darstellung: Der Wirkstoff wird als Gift für alle Formen organischen Lebens dargestellt, das die Zusammensetzung der Böden nachhaltig verändert. Dazu empfehle ich den Artikel Das neue Normal in der ZEIT No.47, 2023. Seit zehn Jahren laufen Vergleichsstudien in der fruchtbarsten Ecke Deutschlands, bei Halle mit zwei Feldern: eins mit konventioneller Landwirtschaft „Das heißt Kunstdünger, häufiges Mähen, nur einzelne Pflanzensorten“ welches nach zwei Jahren Trockenheit „komplett tot“ ist. Die nicht konventionell, also biologisch bearbeiteten, Felder hingegen „bleiben am Leben“.
Eine weitere Schwäche des Beschlusses der EU: Man tut so, als wenn Glyphosat von nun an bestimmungsgerecht, also selten: nur, wenn nötig, usw. angewandt wird. Niemand kann definieren, was damit gemeint und wie dies, und von wem kontrolliert werden kann.
Ich lese regelmäßig den Tagesspiegel. In Interviews, etwa mit dem Leiter des BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung), oder mit dem Chef Lobbyisten von Bayer geht es nur um diese Krebsfragen und deren Unbedenklichkeitserklärungen werden nie hinterfragt. (Etwa: Gibt es keine neuen Studien?). Aber ich werde über die vielen Prozesse in den USA informiert, die mal so und mal so ausgehen. Dazu lauten die Titel „Gute Geschäfte mit Glyphosat“ (2-2022) oder „Noch kann Bayer hoffen“ (6-2022). Ob es so viele Bayer Aktionär:innen unter den Leser:innnen gibt, die genau das lesen wollen?