Gärtnern im Mai

Wenn die Vorfrühlingsblüher müde werden und die Bäume blühen, kommt eine vielversprechende Zeit – das Gärtnern im Mai beginnt. Alles grünt, nun gilt es Geduld zu bewahren und weiter auf den Sommer zu warten. Es ist doch schon so warm und die Kübelpflanzen sehen nach dem Winter im Haus erbärmlich aus. Aber vor den Eisheiligen Mitte Mai kommen nur die Harten in den Garten. Von den Kübelpflanzen waren das die Oleander und der Lorbeer, solange, wie wir sie hatten. Die Zimmerhibiski, das Solanum und die Geranien müssen warten. Manche nennen es die Schafskälte, manche die kalte Sophie, und manchmal bleiben die kalten Nächte auch aus. Die Eisheiligen sind vom 12.-15. Mai. Je nach Großwetterlage dürfen die Empfindlichen bei mir auch schon mal um den 10. Mai herum auf die Terrasse.

Danach kaufe ich erst die Geranien und was sonst noch so nötig ist für den Sommer. Das, was vor Ort eingesät wird, muss auch solange warten, die Ringelblumen und die Gänsekresse, die Keimtemperatur liegt deutlich höher als die Temperatur in unseren Nächten im April oder frühen Mai.

Beim Warten auf diese Tätigkeiten kann ich mich erfreuen: An den letzten Tulpen, dem Zierlauch (Allium) in verschiedenen Höhen, den Obstbäumen, dem Mandelbäumchen und der Kerrie, die alle blühen. Die zweijährige Lunaris und die Staude Lunaris redidiva stehen wie Büsche, Dunkelviolett und im bläulichen Weiß. Inzwischen sind alle Stauden so groß, dass ich sie auf Anhieb erkenne.

Damit ist die Beschaulichkeit auch schon vorbei, es juckt im grünen Daumen: Erst wird alles gedüngt, damit es weiter schön sprießt, dann wachsen die Pflanzen um die Wette. Aber nicht alle, wie vorgesehen. Und manche wachsen da, wo sie nicht sollen! Von mir besonders wertgeschätzte müssen vorm Überwuchern durch andere geschützt werden. Meistens sind das die gekauften, und schon deshalb Wertvolleren, im Gegensatz zu den Ablegern von den Blumenfreundinnen. Bei mir wuchern unten die Maiglöckchen, der Waldmeister und ganz schlimm die Physalis, die Lampionblumen. Und Scharbockskraut, Hahnentritt und Giersch. Und auch weiter oben gibt es Veränderungen: Es kommt vor, dass ein Strauch zu groß geworden ist und meine darunterliegenden Stauden nicht in die Sonne wachsen können. An anderer Stelle wurde ein Baum gefällt, und nun ist aus dem Halbschatten ein Sonnenplatz geworden, der nicht jeder Pflanze gefällt. Es muss umgesetzt werden, was bei den Stauden Kraftanwendung erfordert. Manchmal behelfe ich mir und den unterdrückten Pflanzen vorerst mit ungärtnerischem Abschneiden und Einkürzen. Damit habe ich so manchem zarten Pflänzchen zum Start in die Sonne und damit ins Leben verholfen.

Irgendwann im Mai kommen die Funkien aus der Erde. Sie treiben zuerst etwa wie Maiglöckchen, längs eingerollt. Manche haben grüne Blätter, die man im Frühstadium leicht mit anderem verwechseln kann. Sie sind meist hell gerändert, mal ist der Rand eher gelb, oder in eierschale, am liebsten mag ich sie mit schneeweißen Anteilen. Sie blühen erst im Sommer.

Gärtnern mit der Schere gehört, nach vielen Jahren im Garten, dazu. Der Schmetterlingsflieder und die Hortensien haben im kalten Winter ihre Spitzen eingebüßt. Es lohnt sich, lange zu warten, ob nicht doch noch etwas treibt, vor allem beim winterharten Hibiskus und der Lagerströmie, aber irgendwann müssen die toten Zweige weg. Wenn die Zweige innen noch grüne Ränder haben, warte ich noch einige Tage, aber nicht immer treibt es durch. Als letzter Strauch treibt die Lagerströmie aus.

Ich bin dann täglich im Garten und mache alles fertig für den Sommer. Mal wird geschnitten, die Rankepflanzen, insbesondere die Clematis, werden angebunden. Diese Arbeit liebe ich am meisten: Ich laufe mit Bastfäden und Schere herum, muss mich nur selten bücken, wenn ein Clematistrieb unten auf dem Boden liegt. Nicht immer ist der Faden notwendig, meist kann man die Spiralen an den Rankhilfen befestigen. Sie werden einzeln gedüngt, und ich gucke, ob in der Nähe ihres Fußes mögliche Schneckenverstecke entfernt werden müssen. Zu meinen vielen Clematis gehe ich, wenn möglich, jeden Tag. Manchmal sind sie seit gestern fünf Zentimeter gewachsen. Die ersten blühen schon, und wenn die kalte Sophie einige Tage lang kalt daherkommt, gibt es Trost: Dann halten die Blüten besonders lange!

Bei meinen Gartenrundgängen im Mai werde ich wieder das Kind, das „draußen spielen“ am meisten mochte. Ich liebe den Wind in den Haaren, höre den Vögeln zu, vor allem in den Abendstunden gibt es lange Unterhaltungen. Amseln und Meisen kann ich heraushören. Amseln bilden Gruppen und vertreiben die Eichelhäher.

Beim Herumschlendern geht es um das Gucken und Genießen: Einige der Zusammenstellungen sind geraten, wie beabsichtigt: Wenn die Salomonsiegel, die in einem großen Bogen immer in eine Richtung wachsen, komplettiert werden durch das Tränende Herz daneben, welches seine Bögen in alle Richtungen streckt, entstehen von mir gemalte Bilder. Sie alle haben ihre kleinen Blüten aufgereiht nach unten hängen. Um es besser vom weißen Salomonsiegel unterscheiden zu können, habe ich statt des weißen das rosa Tränende Herz daneben gesetzt. So ist das Bild fertig. Auf dem Staudenmarkt fand ich eines in „leuchtend kirschrot“, eine Dicentra spectabilis valentina, damit werde ich im nächsten Jahr malen.

An einer anderen Ecke blüht die Clematis montana rubens in einem über fünf Meter langen Bogen. Davor die Magnolia liliiflora Susan nigra in ihrem Purpur und Pink. Eine andere Kombination, die ich nicht geplant hatte, ist davor zu sehen, wenn man etwas zurücktritt: Vor dieser Zusammenstellung kommt die Lunaris annua in Purpur, dann die hohen weißen Tulpen White Triumphator und zwischendurch viele Tulpen Shirley, weiß mit purpur Sprenkeln am Rand. Die Farben Weiß mit kaltem Rosa und Purpur bilden ein anderes impressionistisches Gemälde.

Die anderen Stars des Monats Mai haben dieses Jahr ihren Auftritt wohl verpasst: Die purpurfarbene Baumpäonie hat zwar wenigstens drei Blüten (nach sechs im letzten Jahr), aber der Waldgeißbart dahinter wird wohl noch eine Woche brauchen, bis er sich in Szene setzt. Schade. Heute hat es geregnet, aber die Baumpäonie hat alle Blütenblätter behalten. Ich denke an die Bekannten, die heute sicher mit zwei großen Schirmen im Garten stehen, da es zur Pfingstrosenzeit regnet: Sie haben zwei Baumpäonien und schirmen sie vorm Regen ab. An Verreisen ist bei ihnen in dieser Zeit nicht zu denken.

Wenn ich etwas entdecke, was in schwere Arbeit ausartet, merke ich es mir vor für das nächste Mal, wenn die Gärtnerin kommt. Die Gewissheit, dass das bald geschieht, trägt zu entspanntem Wohlbefinden bei. Meine Gartengenußfähigkeit ist gestiegen, seitdem wir regelmäßig helfende Gärtner haben. Manchmal fällt mir doch ein, dass unter der dichten Decke aus abgeblühten Winterlingen und Lerchensporn oder den blühenden Vergissmeinnicht etwas Neues aus der Erde kommen müsste, Echinacea, Rudbeckien oder Funkien. Solche Notfälle erfordern dann einen sofortigen Einsatz auf Knien, aber, sowie die Neuankömmlinge befreit sind, lustwandele ich weiter, mit den Bastfäden um den Hals, als wäre es ein Schmuck.

In Gabriella Papes Buch Gartenvergnügen (Callwey) vergleicht sie, wie in den meisten ihrer Aufsätze, das englische Gärtnern mit dem deutschen. Wir hier machen es uns gerne schwer, auch im Garten. Wir reden zum Beispiel von Gartenarbeit, die Engländer von gardening. Wir sprächen ja auch nicht von Küchenarbeit, wenn wir Kochen meinten. Mir gefällt der Gedanke: Es sollte für eine so kreative Tätigkeit wie das Gärtnern ein Wort geben, welches alles umfasst, was wir im Garten tun, beobachten, planen, schnuppern, schauen, genießen, pflanzen, schneiden und wässern kann auch dabei sein.

Solange uns dieses Wort fehlt, rede ich nicht mehr von Gartenarbeit, sondern nur noch vom Gärtnern, und hoffe, mein Müßiggang im Mai wird so gewürdigt: Ich gehe nicht im Garten spazieren, ich gärtnere. Was man nicht alles machen könnte in diesem Jahr!

Die Tomaten sind in Töpfe gepflanzt, getreu Gärtner Böthners Vorschlag gut 50 cm hoch (s. das Kapitel zu Tomaten!), und warten im Wintergarten auf wärmere Zeiten. Obwohl die Eisheiligen lange vorbei sind, geht die Temperatur nachts auf fünf bis sechs Grad herunter, das würde ihnen nicht behagen. Für das Wohnzimmer hole ich von draußen ein alleinstehendes Allium (Zierlauch), in der Stangenvase wird es mit seinen anderthalb Metern gut stehen und uns erfreuen. Im Jahr 2013 gab es eine Schwemme, ich zählte 38 Pflanzen, von 50 gesteckten, dann steckte ich keine Neuen, um zu sehen, wie viele im nächsten Jahr wiederkommen würden. Es wurden 16, ich frage mich, ob das schon immer so war, oder auch hier die Züchtungen in Richtung Einjährigkeit gehen, wie bei den Tulpenzwiebeln?

An einer Stelle nahe der Straße habe ich sechs Hyazinthen nebeneinander gesetzt, in blau, weiß und rot. Die Kombination gefällt mir. Am Abend lese ich im Buch Die Damen mit dem grünen Daumen (Sandmann) über die französische Autorin und Gartenliebhaberin Colette. Sie erinnerte sich, dass in Frankreich mit diesen Wappenfarben während der deutschen Besatzung gegen die Deutschen demonstriert wurde. Man kombinierte die Hyazinthen auf jedem Fensterbrett oder Balkon als patriotische Aussage (bleu-blanc-rouge). Wir haben es im Vorgarten, nur weil es schön aussieht. Beim Ansehen bin ich dankbar für die 50 Jahre deutsch-französische Freundschaft, die wir im letzten Jahr gefeiert haben.

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