Hortensien

Im Sommer werde ich oft gefragt, ob ich wohl eine besondere Vorliebe für Hortensien habe. Und, wenn ich mich im Garten umgucke, ist der Eindruck nachvollziehbar, sie sind in jeder Ecke. Angefangen mit ihnen habe ich, als die Kinder aus der Schule waren und nicht mehr mit uns verreisten: Wir blieben in den Monaten Juli und August in Haus und Garten, dort gab es vor allem Grün in Grün zu sehen. Nun blühen seit einigen Jahren viele Phloxe, Purpursonnenhüte (Echinacea), Astern, mehr Einjährige und eben Hortensien. Sie vor allem helfen mir, Räume zu gestalten. Neulich war ich in einem schönen und sehr großen Garten. In seiner offenen Weite wirkte er etwas flach, und ich dachte, mit Hortensien hätte er mehr Spannung. Sie fehlten dort als Strukturbildner, die im Juli ihre farbintensiven Blüten zeigen. Rot, Rosa, Blau und Violett, bei mir sind viele weiß. Und selbst die weißen haben Farbtöne, die unterschiedlich leuchten.

Wochenlang blühen sie und verändern dabei nur langsam ihre Farbschattierungen. Ihre große Beständigkeit während des gesamten Hochsommers macht für mich ihren Reiz aus. Was wir sehen, sind sterile Schaublütenblätter. Bei den Bauernhortensien wird der große Blütenkopf von Schaublüten gebildet, bei den anderen, den Tellerhortensien, besteht nur der Rand aus diesen beständigen Schaublüten. Sie können nicht befruchtet werden und bleiben so dauerhaft als Blüten bestehen. Aus anderen Blüten in der Mitte der Tellerhortensien kann auch Samen gewonnen werden. Die Geschichten ihrer Entwicklung zu der in Deutschland am häufigsten produzierten Topfpflanze sind spannend. Die Hortensien wurden meist aus Ostasien eingeführt, teilweise unter dramatischen Umständen, gerade weil sie kaum Samen bilden, die man gut hätte schmuggeln können.

Die schönsten Geschichten dazu fand ich in meinem Büchertischfund aus den USA: Hydrangeas von Chris Glyn. Die Pflanzenpioniere, gerne getarnt als Missionare, riskierten ihre Leben! In den USA wurde in den Appalachen nur die Eichenblatthortensie gefunden; dazu gibt es eine These, dass dieser Teil der Erde vor Milliarden Jahren mit Asien verbunden war, also da, wo alle anderen Hortensienarten beheimatet sind, aber dass dieser Teil der Erde sich irgendwann nach Amerika verlor.

Glyn hatte seine Ausbildung in England zum Master of Horticulture abgeschlossen, um dann in Neuseeland eine Hortensienzucht aufzubauen. Er schreibt anschaulich die Einteilungen für Hortensien in die zwei Gruppen Mophead (Wischmoppkopf) und Lacecap (Spitzenhäubchen). Als besonderen Aspekt habe ich mir gemerkt, warum es in japanischen Gärten kaum Hortensien gibt: Sie werden zu groß und stören damit im kleinen formalen Garten, außerdem sind die Farben zu wechselhaft, um immer in der gewünschten Weise zum restlichen Garten zu passen. Ich kann mit diesem Farbwechsel gut klarkommen, aber größer werden dürfen meine Hortensien nun nicht mehr.

Ich wollte unbedingt eine Annabelle, wegen ihrer großen Blüte. Hydrangea arborescens Annabelle musste damals, vor 20 Jahren, beim Gärtner noch bestellt werden. Wie alle Hortensien liebt sie leicht sauren Boden. Irgendwo fand ich den Namen kalkfliehende Pflanze. Wir graben beim Pflanzen ein großes Loch und füllen es mit Moorbeeterde auf. Am besten wäre wohl Torf, der soll aber aus ökologischen Gründen nicht verkauft, sondern im Moorbestand geschont werden. Mein Eindruck ist, dass das, was als Moorbeeterde verkauft wird, in Wirklichkeit Torf ist, aber es steht eben nicht mehr drauf.

Dann wird sie, wie alle Hortensien, gut gewässert, vor allem in Trockenzeiten, und gedüngt. Etwas Besonderes ist, dass diese Annabelle sich vermehrt wie eine Staude, deshalb habe ich sie immer wieder verschenken können. Inzwischen sind ihre Kinder schon an drei Stellen bei uns verteilt, mit dem Kind bei den Nachbarn, das über den kleinen Jägerzaun lugt, sind es vier. Wenn sie zu hoch wird, und die schweren Köpfe herunterhängen, etwa wenn ein kräftiger Regen die Blüte noch schwerer macht, kann man sie im Winter über dem Boden abschneiden. Diese Hortensie schafft es, im Frühling von unten durchzutreiben, am einjährigen Holz zu blühen und in einigen Jahren wieder so hoch wie vorher zu stehen.

Meine Hortensien sind sehr langlebig und vergrößern sich beständig. Die Blüten werden etwas kleiner, nachdem sie vom Topf befreit und in die Erde gepflanzt werden. Interessant ist das wechselhafte Farbenspiel. Während das helle Kirschrot der als rot gekauften oder geschenkten Topfpflanzen kräftig bleibt, verändert sich das Blau.

Dazu schreibt Rainer Maria Rilke im Gedicht „Blaue Hortensie“ (Blau die himmlische Farbe):

„So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;“

Das Blau zu erhalten ist mir bisher noch nicht gelungen, obwohl ich es immer wieder versuche. Bei Topfpflanzen wäre es wohl einfacher. Es geht darum, Alaun, ein Aluminiumsalz, auszubringen. Bisher nahm ich speziellen Dünger, kaufte spezielle Moorbeeterde, ohne dass sie blau wurden. Denn die Erde muss wohl zusätzlich zum richtigen Zeitpunkt sauer gemacht werden, mit Essigessenz, das habe ich mich bisher nicht so recht getraut. Ohne Alaun werden die blauen rot, aber in einem etwas violetten Rot.Bei Rilkes im Garten hat es wohl geklappt, denn das Gedicht schließt mit:

„Doch plötzlich scheint das Blau
sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.“

In manchen Gegenden, in der Bretagne und in Neuseeland, sah ich blühende Hortensienwände ganz in Blau, und musste bei der Vorstellung lachen, dass dort jemand mit einem Essigkännchen über die Hänge gezogen wäre. Die Glücklichen hatten es wohl nicht nötig, der Boden ist dort sauer genug. Aber ich werde es weiter versuchen.

Die nächste in meiner Sammlung wurde eine weiße Rispenhortensie (H. paniculata), eine Kyushu mit sehr großen Rispen. Sie blüht in einem cremigen Weiß, welches sich mit der Zeit in ein Kupferrosa umwandelt. Auch sie strahlt mit ihren Scheinblüten, allerdings hat auch sie kleine fruchtbare Blüten. Die Sämlinge kommen von der japanischen Insel Kyushu.

Eine Kletterhortensie (Hydrangea petiolaris) hat in zehn Jahren eine Wand erklettert und strebt nun schon in Richtung zweite Etage. Sie hat Tellerblüten, von denen nur der Rand geöffnete Blütenblätter zeigt. Sie klettert wie ein Efeu mit Saugnäpfchen und ist anspruchslos. Bei uns wurde sie in eine Ritze neben der Terrasse gepflanzt und findet dort alles, was sie zum Wachsen braucht. Jakob Augstein (s.u.!) hält sie in Töpfen und lässt sie herunterwachsen. Er schlägt vor, wer nicht genug Platz im Garten hätte, sollte sie dauerhaft in Töpfen halten. Sie scheint eine ideale Balkon- oder Terrassenpflanze zu sein, die auch im Kübel alt und groß wird.

Neben der Kletterhortensie steht eine Samthortensie (H. sargentiana), ebenfalls mit tellerartigen Blüten und großen Blättern. Wir versuchen, sie klein zu halten, da sie sonst anderes verschattet. Trotzdem ist sie übermannsgroß und majestätisch. Nachdem mir im Park der Baronin von Rothschild an der Côte d’ Azur ein Feld von Eichenblatthortensien sehr gefiel, gelang es mir, für sie noch ein Plätzchen zu finden. Ich bestellte eine snow queen, wegen der schönen Blüte auf dem Bild. Sie kam erst an den Ort des ehemaligen Buddelkastens, in den Halbschatten. Monate später lese ich in Glyns Buch, dass sie nicht nur viel Sonnenwärme mag, sondern auch eine „iffy constitution“ habe. In Ihrem Wörterbuch steht iffy nicht? In meinem auch nicht, es heißt ungewiss, zweifelhaft. Inzwischen ist Miss Iffy an einen geschützten Sonnenplatz gekommen und dankt es uns seit ihrem zweiten Jahr mit schönen Blüten.

Hortensien scheinen sich bei uns wohl zu fühlen, und dort wo sie zu groß geworden sind, werden sie mit Bedacht beschnitten. Gerne, wenn sie in voller Blüte stehen. Bisher hat es ihnen nicht sichtlich geschadet. Es ergibt einen schönen Strauß, der sich lange hält und manchmal als Trockenstrauß sogar überwintert, aufgehübscht mit Hagebutten und Gräsern. Die Farben im Strauß verändern sich, wie die der Blüten, die an der Pflanze verblühen dürfen: Die Annabelle wird grünlich, die Rispenhortensie rosa. Manche werden einfach braun.

Eine anregende Geschichte beschreibt Jakob Augstein in seinem Buch Die Tage des Gärtners (Hanser). Teile der Blüte wären berauschend, und in manchen Gegenden Deutschlands würden Hortensienblüten deswegen gestohlen. In Münster spräche die Polizei von Hortensien-Mafia, besonders arg sei es „im Mekka der deutschen Hortensien-Szene, in Schleswig-Holstein“, wo die Polizei es mit mehreren tausenden solcher Überfälle auf Pflanzungen zu tun hätte. Im wilden Berlin ist das bisher zum Glück noch nicht passiert. Meist lasse ich die vertrockneten Blütenstände bis zum nächsten Frühling stehen, so geben sie dem Garten auch im Winter noch etwas Struktur.

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