Der grüne Garten

Der grüne Garten: Als ich mit meinen Berichten aus Omas Garten anfing, wäre es mir niemals in den Sinn gekommen, auch die Schönheiten des Grüns im Garten zu beschreiben, denn ich nahm sie nicht wahr. Blüten standen im Mittelpunkt, und mit ihren Farben gestaltete ich.

Seit einigen Jahren bemerke ich, dass ich im frühen Frühling die Vielfalt der Grüntöne der Blätter intensiver wahrnehme, schade drum, denke ich, dass sie nun so wenig gesehen werden, die Blüten lenken alle Aufmerksamkeit auf sich, und wie kann man Grün beschreiben?

In Irland werden shades of green, die Grüntöne besungen, die Inuit sollen Dutzende von Begriffen für die Farbe des Schnees kennen, mir fehlen meist die Worte, wenn ich die Schönheiten verschiedener Farbtöne beschreiben will. Wie wohltuend Grün sein kann fiel mir schon bei meinen Spaziergängen in meinem Garten nach Frosttagen auf. Dass von dieser Farbe auch im Sommer viel Ruhe und Kraft ausgeht, erfuhr ich in einem Garten in der Dordogne im Südwesten Frankreichs. Damit meine ich nicht die großen Anlagen mit ihren stets frisch und in allen möglichen Formen geschnittenen Buchshecken. Ich meine den grünen Garten, in dem wir die Urlaubstage verbracht haben, in ländlicher Stille, bei angenehmer Wärme, im Schatten einer Kastanie und in Gesellschaft der freundlichen Hunde des Hauses, die alle Labradoren unter ihren Vorfahren hatten.

Wir hatten eine Ferienwohnung gemietet. Es war ein altes Natursteinhaus, welches eine grüne Wiese, groß wie einen Tennisplatz, abschloss. Eine Längsseite wurde vom Wohnhaus der Vermieterin gebildet, und die anderen Begrenzungen waren frisch geschnittene Buchshecken, gut mannsgroß. Es fiel überall in dieser Gegend auf, dass bei Gartenpflegearbeiten das Beschneiden der Buchsbäume zuallererst geleistet wurde, zu den anderen Gartenarbeiten kam man dann nicht mehr immer.

Auch hier war es so, die Sträucher auf der Wiese durften sich frei entfalten, so dass es meinem Mann schon in den Fingern juckte, ob er nicht vielleicht als Schneidemeister volontieren sollte. Einige Buchse waren in großen Kübeln in die Nähe des Eingangs gestellt, dem einen war sein Kübel zu eng geworden, er hatte ihn gesprengt. Vor dem Haus gab es einen Jelängerjelieber (Lonicera) in einem kräftigen Karminrot, man hatte ihn vom Dach geworfen, das er besteigen wollte, und nun verknäulte er sich am Boden, es fehlte ihm eine Rankhilfe.

Dann standen noch einige Bärenklau (Acanthus) in der Nähe des Hauses. Die ersten Tage spazierte ich durch die Ecken und legte in Gedanken kleine Beete an. Pflegeleicht sollte es sein, einige Stockrosen, Akeleien, Rudbeckien, vielleicht Fingerhüte. Aber dann passierte etwas mit mir, was ich so noch nicht kannte: ich begann diesen Ort zu genießen, so wie er war. Und wollte kaum noch weg, um all das zu besichtigen, was es in der Nähe zu sehen gab. Ich kam zur Ruhe, weil ich den Garten so lassen konnte, wie er war.

Natürlich haben wir die berühmten Gärten dann doch besichtigt. Es sind große formale Gärten, wie die Jardins du manoir d‘Eyrignac oder die Jardins de Marqueyssac. Sie bestehen überwiegend aus Buchs, und der wird regelmäßig beschnitten, bis zu zwölfmal im Jahr. Dafür gibt es einen Begriff „l’art topiaire“, für den ich keine deutsche Entsprechung fand. Es geht um die Kunst Pflanzen in Formen zu schneiden. Es gibt internationale Gesellschaften, die sich der Pflege dieser Kunst verschreiben und mit anderen (Engländern, Iren, US-Amerikanern) darüber austauschen, wie in Gärten Skulpturen geformt werden können mit lebenden Pflanzen als Grundlage. Hier war es meist Buchs, aber auch die Weißbuche, auf französisch “charmes“ lässt sich willig schneiden. Diese aufwändigen Schneidearbeiten, manche im wahrsten Sinne des Wortes schnurgerade angefertigt, ermüdeten schon beim Zusehen. In einigen kleineren schlossnahen Bereichen waren inmitten der Buchsbeetfassungen einige Blütenpflanzen zugelassen, meist weiße Rosen. Zurück auf unserer Wiese trug gerade das Fehlen solcher Anstrengungen zu meiner Ruhe bei.

Ich hatte diese meine Vorliebe für das Grün in Grün schon fast vergessen, als ich einen Monat später im Großen Garten von Herrenhausen die „grünen“ Themengärten fand. Sie waren ähnlich groß, wenn auch eher quadratisch: der Rasengarten, der barocke und der Rokokogarten. Der letztere zeigte etwas jämmerliche Versuche, dem Buchs ein neues Ich zu geben, etwa das einer Schnecke. Ich genoss es, ohne auf Namensschilder zu achten, einfach meine Runden zu drehen. Ich werde beobachten, ob dies ein weiteres Zeichen meines Alterns ist, dass ich einfach weniger neugierig auf Entdeckungen geworden bin. Die von Niki de Saint Phalle gestaltete Gruft des Herrenhauser Gartens ist deutlich anregender; leider ist dieses Ensemble urheberrechtlich geschützt, deshalb dürfen wir Ihnen unsere Fotos davon nicht zeigen.

Im Hochsommer besuchten wir den Garten der Künstlerin Hannah Höch in Berlin-Heiligensee. Er stand in voller Blüte, und wir genossen die Vielfalt und Üppigkeit. Die Künstlerin hatte hier über Jahrzehnte gelebt und sich ein Paradies geschaffen, in welchem sie die Nazizeit überleben konnte. Als diese Zeit überwunden war, wurde sie wieder als Künstlerin international anerkannt, ja, gerühmt. Er enthielt in mehreren seiner Räume Buchshecken, manche waren von ihr gepflanzt worden, manche hatte sie, vor gut siebzig Jahren, schon vorgefunden. Sie hatten sich inzwischen zu gewaltigen grünen Hohlkörpern entwickelt.

Die Lösung fand Herr Johannes Bauersachs, der den Garten inzwischen erworben hat, um ihn zu retten. Der Künstler lebt dort mit seiner Familie seit Jahrzehnten und hegt und pflegt das Übernommene, in dem er notwendig gewordene Veränderungen behutsam umsetzt. Bei der Führung hob er hervor, dass der Buchs, so wie es der Name sagt, ein Baum sei. Allerdings ein meist mehrstämmiger. Also schneidet er in die grüne Hülle ein Fenster und arbeitet sich dann von dort zu den Stämmen hervor. Am Ende eines langen Prozesses gibt es dann ein bonsai-artig verzweigtes Gerüst, welches an seinen Enden grüne Puschel aus Buchsblättern trägt. Diese haben eine gewölbte Decke. Am eindrucksvollsten ist ein großer Schirm, mit einem Durchmesser von über zwei Metern, der von mehreren lebenden Ständern gehalten wird, durch die man sehen kann. Das muss man sich wohl noch einmal im Winter oder Frühling ansehen, wenn die hohen Stauden in der Nachbarschaft den Ausblick nicht verstecken.

Mir erscheint es, als folge er mit seinen Formen den Pflanzen mit ihren Funktionen. Seine Formen werden der Pflanze nicht aufgezwungen, sondern aus ihr herausgeschält. Vielleicht geht das auch bei unserem Strukturbildner aus Buchs, der immer größer wird. Ich glaube bald, der grüne Garten hat noch Entwicklungsschritte vor sich. Das wäre ein Vorschlag für den Großen Garten von Herrenhausen. Dass man dort gerne das Althergebrachte mit Neuem mischt, zeigt die herrliche Grotte von Niki de Saint Phalle. Wie wäre es mit einem grünen Themengarten, indem die Pflanzen die Richtung vorgeben? Von mir aus könnte man den etwas vermurkelten Rokokogarten als Grundlage dafür nehmen.

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